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Die Waffengeschäfte der britischen Regierung

■ Kabinett war über Waffenlieferungen an den Irak von Anfang an informiert

London (taz) – Die britische Regierung und die Geheimdienste waren noch tiefer in die Aufrüstung des Irak verstrickt als bisher bekannt. Sie haben Parlament und Öffentlichkeit jahrelang darüber belogen. Das kam am Montag beim Prozeß gegen drei Vorstandsmitglieder der Maschinenfabrik Matrix Churchill heraus. Die Angeklagten Paul Henderson, Peter Allen und Trevor Abraham wurden freigesprochen, weil sie anhand von Regierungsdokumenten nachweisen konnten, daß sie nicht nur mit Wissen der Regierung und der Geheimdienste, sondern sogar in deren Auftrag Rüstungstechnologie und Waffenteile an den Irak geliefert hatten. Noch nie zuvor sind geheimdienstliche Aktivitäten so detailliert erörtert worden wie in diesem Fall.

Die Geheimdienste MI-5 und MI-6 profitierten erheblich von Hendersons Mitarbeit. 1989 und 1990 unternahm dieser nämlich acht Geschäftsreisen nach Bagdad und spionierte dabei das Condor- Raketenprogramm sowie die konventionelle, atomare und chemische Schlagkraft des Irak aus. Hendersons Arbeit wurde dadurch erleichtert, daß die irakische Firma al-Arabi Trading 1987 Matrix Churchill übernommen hatte.

Der frühere Staatssekretär im Industrieministerium, Alan Clark, wies Matrix Churchill und andere am Irak-Geschäft beteiligte Firmen im Januar 1988 an, die Möglichkeit der „friedlichen Nutzung“ des gelieferten Materials hervorzuheben und in den Export-Lizenzanträgen „nichts Militärisches zu erwähnen“. Im selben Monat warnte das Außenministerium vor einem bevorstehenden UN-Embargo und empfahl den Firmen, „so schnell wie möglich zu produzieren und zu exportieren“. Clark legte der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher nahe, ihre Zustimmung zu den Irak-Exporten geheimzuhalten, aber schon mal „eine entsprechende rechtfertigende Erklärung“ vorzubereiten, falls Kritik laut würde.

Spätestens im Frühjahr 1989 war sich die britische Regierung nachweislich bewußt, daß die britischen Werkzeugmaschinen für das Atomwaffenprogramm des Irak benutzt werden konnten. Dennoch verhinderte das Verteidigungsministerium die Unterbindung des Handels, da Matrix Churchill ansonsten bankrott gehen könnte. „Wenn das geschieht, verlieren wir unseren nachrichtendienstlichen Kontakt“, heißt es in einem vertraulichen Bericht des Ministeriums. Noch am 27. Juli 1990 – sechs Tage vor der Invasion Kuwaits – genehmigte die Regierung einen weiteren Matrix-Churchill-Export für Iraks Aba-Raketenprojekt. Bis vor vier Wochen haben zahlreiche Minister und Staatssekretäre vor dem Parlament jedoch kategorisch abgestritten, daß man Waffen an den Irak geliefert habe. Unter diesen Umständen ist es erstaunlich, daß es überhaupt zur Anklage gegen Matrix Churchill gekommen ist. Die Zollbehörde, die die Klage eingereicht hatte, wußte nämlich durchaus über Hendersons Aktivitäten für den Geheimdienst Bescheid. Da das Verhältnis zwischen beiden Organisationen jedoch von Rivalität und Mißtrauen gekennzeichnet ist, entschloß sich der Zoll zum Entsetzen der Regierung zur Strafverfolgung. Die Zollfahnder hatten vor zwei Jahren eine Schlappe einstecken müssen, als das Verfahren gegen das Stahlunternehmen Walter Somers und die Rüstungsfirma Space Research Corporation eingestellt wurde, weil ein Prozeß bereits damals die Verstrickungen der Regierung in die Waffenexporte enthüllt hätte. Die beiden Firmen hatten Bauteile für eine „Superkanone“ mit einer Reichweite von 1.200 Kilometern an den Irak geliefert, waren bei der letzten Lieferung jedoch vom Zoll ertappt worden.

Die Regierung versuchte auch diesmal, den Prozeß gegen Matrix Churchill zu torpedieren. Drei Minister – Innenminister Kenneth Clarke, Verteidigungsminister Malcolm Rifkind und Industrieminister Michael Heseltine – stellten Immunitätsurkunden „aufgrund öffentlichen Interesses“ aus, um die Beweise für die Regierungsintrige zu unterdrücken. Darüber hinaus untersagte Richter Brian Smedley den Medien unter Strafandrohung, über die Einmischung der Minister in das Verfahren zu berichten. Auch die Geschworenen wurden davon nicht informiert.

Die Akten, in denen es um den MI-5 und MI-6 ging, wurden selbst der Verteidigung zunächst vorenthalten, nachdem der Staatsanwalt erklärt hatte, daß sie „nichts enthalten, was der Verteidigung helfen könnte“. Erst als Hendersons Anwalt Geoffrey Robertson „die loyale Arbeit meines Mandanten für die Krone“ zur Sprache brachte, gab der Richter nach. Die Akten waren schließlich entscheidend für den Freispruch. Ralf Sotscheck

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