: Eine neue Stadt nach US-Muster für den Berliner Norden
■ Bausenator stellt Pläne für Wohnungen in Karow-Nord vor
Berlin. In Karow-Nord, jenem heterogenen Einfamilienhaus- Dschungel mit Dorfkern, soll nach den Vorstellungen des Bausenators Nagel (SPD) eine neue „Berliner Vorstadt“ entstehen. Sie soll zugleich der „erste große Baustein“ des neuen Wohnungsbau- Entwicklungsschwerpunktes sein, der sich über Weißensee bis Pankow erstrecken wird. Über 50.000 Wohnungen könnten dort gebaut werden. In einem ersten Bauabschnitt, auf einer 100 Hektar großen Fläche beiderseits der Karower Chaussee, ist geplant, ab 1993 rund 4.300 neue Wohnungen als Reihen- und Einfamilienhäuser zu errichten. Hinzu kommen zehn bis fünfzehn Kitas, mehrere Schulen, Verwaltungs- und Dienstleistungsgebäude sowie Sportstätten, Spielplätze und ein Stadtteilpark mit einem kleinen See. Nagel: „Es wird keine Großsiedlung oder Wohnhochhäuser und keine Uniformität der Architektur geben, sondern Häuser mit höchstens vier Geschossen.“ Das Ganze werde ein „kalifornischer Traum“, orakelt Nagel.
Denn die Entwürfe der geplanten Siedlung im Norden Berlins entstanden nach einem diskursiven Verfahren mit sieben Arbeitsgruppen auf dem Reißbrett des amerikanischen „Dream-Teams“ Moore/Ruble und Yudell (Santa Monica), die ganz bewußt traditionelle städtebauliche Strukturen und Anlagen verwandten. Das Neubaugebiet nimmt sich die Siedlungen und Gartenstädte der zwanziger und dreißiger Jahre in Zehlendorf oder Lichterfelde zum Vorbild. Die Planung bezieht das Dorf Karow in die Überlegungen mit ein. Die neuen Stadtteile haben zentrale Orte und Plätze, offene Höfe und viele Grünanlagen.
Die finanzielle Grundlage des Projekts, das Nagel auf mehr als zwei Milliarden Mark schätzt, bildet ein Vertrag zwischen der Bauverwaltung und der „ARGE Karow“ – ein Zusammenschluß der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gehag und dem privaten Investor „Groth und Graalfs GmbH“. Neu an diesem public- private-partnership-Projekt ist die Kostenverteilung und die „Anwendung von Instrumenten zur städtebaulichen Entwicklung, die es Berlin ermöglichen soll, die planungsbedingten Bodenpreissteigerungen zur Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur nutzbar zu machen“ (Nagel). Das bedeutet, daß die Investoren nach der Erschließung des Geländes und der Finanzierung von Straßen, Grünanlagen und sozialen Infrastrukturmaßnahmen die für die öffentliche Nutzung erforderlichen Flächen dem Land Berlin zum gegenwärtigen Verkehrswert veräußern. Berlin seinerseits verpflichtet sich unter anderem zum vertraglich festgelegten „Wohnungsschlüssel“ (1.950 Wohneinheiten im 1. Förderungsweg/sozialer Wohnungsbau, 1.950 im 2. Förderungsweg, 470 in Doppel- und Reihenhäusern und 230 im freifinanzierten Wohnungsbau), zum Eigenanteil für weitere Infrastrukturen sowie die Bebauungsverfahren „zügig voranzutreiben“.
Der Bezirk Weißensee meldete bereits Bedenken an: Der Planung liege kein genügendes Verkehrskonzept zugrunde. Zudem sei weder an ausreichende Arbeitsstätten noch an weitere Grünflächen gedacht worden. Schließlich sei fraglich, ob der Entwurf neue Identitäten für den Wohnort schaffe und die Gelder des „Planungsmehrwerts“ wirklich vom Bezirk abgeschöpft werden könnten. Rolf Lautenschläger
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