piwik no script img

Zum Jubeltag ein Abgesang

■ Das "Europäische Museums Netzwerk" stellte sich vor und gab sein Hinscheiden bekannt

Zum Jubeltag ein Abgesang

Das „Europäische Museums Netzwerk“ stellte vor und gab sein Hinscheiden bekannt

Wie komme ich am schnellsten von einem Navigationswinkelmesser aus dem 17.Jahrhundert in Bremerhaven zu einem Bild von Degas in der Hamburger Kunsthalle? Wie kann ich mir das Inventar des Centro del Arte Moderna ansehen, ohne den Sessel zu verlassen? EMN machts möglich!

Das ist neu, das ist schön, das ist europamäßig auf der Höhe der Zeit. (Und das ist teuer.) So ähnlich muß vor vier Jahren ein Konsortium aus neun europäischen Museen, Computerfirmen und dem Fraunhofer-Institut der EG ein Projekt verkauft haben: das EMN, das „European Museum Network“. Kunsthallen, Technik- und Naturmuseen, Archäologische und Nationalmuseen wollten sich über Telecom-Breitbandnetze verknüpfen, Informationen über ihre Bestände austauschen und — der zentrale Punkt — durch eine einfache Benutzeroberfläche dem ganz normalen Museumsbesucher einen leichten Zugriff auf die Daten ermöglichen. Eine gute Idee, für die die EG 10 Millionen ausgab. Für das auf vier Jahre veranschlagte Projekt gab es einen Etat von 20 Millionen. Das Land Bremen war mit je 300.000 Mark für das Überseemuseum und das Schiffahrtsmuseum dabei.

Jetzt ist, Ende '92, die EG-Förderung vorbei. Im Bremer Überseemuseum stehen bunt blinkend Apple-Computer für die Presse und Museumsleute und zeigen, was sie können. Das europäische Kulturnetz scheint geknüpft. Ab März — dann sind die Computer auch „interessierten Laien“ zugänglich — geht der Bremer visitor auf Datenreise.

Doch zuerst hebt sich der dräuende Finger der Museumspädagogik: Weder zum Rumspielen ist EMN da, noch soll es die Bedeutung der ausgestellten Objekte durch ihre virtuelle Konkurrenz relativieren. Wir brauchen eine Schlüsselzahl, und die finden wir nur an der ausgestopften Fledermaus oder der Eskimohütte.

Einmal drin, können wir wählen: Vertiefung oder horizontale Reise. Zusatztexte, die uns das „Seeaskolabium“ im Schiffahrtsmuseum erläutern, Schaubilder, Ausschnittsvergrößerungen: mit der Mouse in der Hand kein Auftrag. Witzig wird es, wenn man die Listen der key words anklickt: Das sind Begriffe, die fleißige Museumspädagogen zwischen Lissabon und Kopenhagen assoziativ

dem Objekt angeheftet haben. Über solche key words „navigiert“ man durchs System und findet oft überraschende Zusammenhänge. So gelangt man vom alten Seemannsgerät über „Blick / Utensil“ zu Degas' Mädchen „Vor dem Spiegel“. Von hier aus geht's über „Toilette / Hut / erotisch“ in ungeahnte Weiten...

Im Grunde, so der Hamburger „Kommunikationsexperte“ Achim Lipp, wende sich das System an diffus Interessierte, die nicht wissen, wie und was man im Museum anfängt. „Die sind doch nach fünf Bildern oft schon erledigt, weil sie nicht wissen, was sie wollen.“ Was sie wollen können, will EMN zeigen.

Was wäre jetzt logischer als ein gut organisierter Zusammenschluß von immer mehr Museen, die sicher schon Schlange stehen, um mitmachen zu können? Doch immer, wenn man die EMN-MacherInnen nach der Zukunft fragt, fallen ihnen Schatten aufs Gemüt. Denn eigentlich ist dieser Jubeltag ein Abgesang. EMN ist tot. Achim Lipp: „Das EG-Konzept ist nicht aufgegangen.“ Mit dem Tag, an dem das EG-Geld nicht mehr fließt, ist der Traum von der europäischen Museumsvernetzung ausgeträumt.

Zum Beispiel meint der visitor, er sei mit anderen Museen verbunden; stimmt nicht, er ist mit einer Festplatte verbunden. Die On-Line-Vernetzung scheitert an verschiedenen Normen in Europa und den immensen Kosten der Telekommunikation. Die Museen tauschen lediglich Disketten untereinander aus (“Diesel-Net“). Zum Beispiel andere Interessenten: ohne EG-Knete ist denen der Anschluß an EMN zu teuer, die Personalausgaben sind hoch, füttern, aktualisieren, übersetzen. Zum Beispiel der geplante Einsatz von Video: ist technisch noch undenkbar wegen der Speicherkapazitäten, die bewegte Bilder fressen. „Wir waren immer an der Grenze dessen, was technisch machbar ist,“ sagt Herr Bürstenbinder, der Computerfachmann. Oft eben auch jenseits der Grenze.

Uns niemand kam auf die Idee, daß EMN auch vermarktet werden kann. Aber im März!!! Da kann man bei der EG neue Anträge stellen. Und da gibt es schon eine Idee: Neu, schön und europamäßig auf der Höhe der Zeit (und teuer): „Hanse-Net“, ein Netzwerk aller / vieler Hansestädte von Flandern bis Rußland. Ein Kulturnetz. Und die „Maschine“, die das EMN entwickelt hat, kann man gut brauchen. Think big!

Götz Mackensen, vom Überseemuseum für EMN freigestellt, denkt kleiner: Wenn schon die umliegenden Museen in ein Hanse- „Regionalnetz“ einstiegen, wäre das ein Erfolg. EMN aber, das war nur ein „extren erster Schritt“. Burkhard Straßmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen