: Jagen und Sammeln von medialem Aas
Filmpiraterie und Subversion: „Jäger und Sammler – Die neuen Nomaden“ im Eiszeit ■ Von Helmut Merschmann
Sieht man einmal von Trailern, Musikclips und Werbespots ab, könnte man meinen, den Experimentalfilm gibt es nur noch auf einsamen Festivals und Fernsehsendeplätzen. Wie es scheint, hat er seine subkulturelle Heimat verlassen und sich in kommerzielle Gewänder gehüllt. Offen bleibt die Frage, ob dies nun seine subversive Strategie ist, oder ob er vom „System“ einverleibt wurde. Oder ist eine solche Rhetorik schlichtweg nicht mehr auf der Höhe der Zeit?
Für das Festival „Jäger und Sammler“ ist dies keine Frage, denn gerade um diese Kolloborationen geht es. Das Projekt stellt in den nächsten fünf Tagen die avancierteste Mediensubkultur der USA vor. Dabei beschränkt es sich keineswegs auf den Filmbereich. Wie die Künstler mußten auch die Organisatoren in unbekannten Gewässern fischen – und wurden schließlich fündig. Der griffige Projekttitel weist zum einen auf die politisch motivierte Überschreitung von Mediengrenzen hin, postuliert aber auch das Plündern in fremden Ressorts, um seine eigenen Arbeiten der Konfrontation auszusetzen. Ein Jagen und Sammeln von medialem Aas.
Schon Godard fand Filme auf Schrottplätzen und schuf aus Gesammeltem seinen Verwertungsrealismus. Die neuen Nomaden aber sind weltweite und blitzschnelle Informationsplünderer. Sie sind die Geier der Codes und Frequenzen, Szenen und Sentenzen. Und da sie keine Kostverächter sind, ist ihnen die Trennung von fiktiven und dokumentarischen Materialien längst nicht mehr heilig.
Bestes Beispiel ist „Tribulation 99“, der Eröffnungsfilm des Projektes, der konsequenterweise nur aus found footage besteht. Mit wahnhaftem Duktus revidiert Craig Baldwin die Geschichte der amerikanischen Interventionen in Zentralamerika und erzählt eine Phantasmagorie aus der Perspektive von Außerirdischen. Alles auffindbare Dokumentarmaterial der kriegerischen Konflikte mußte her, zudem Postkarten, B-Movies, Science Fiction und Horror, um die paranoide, haarsträubende Geschichte in konspirativem Tonfall zu skandieren. Natürlich will Baldwin die antidemokratischen Aktivitäten der USA aufzeigen, indem er den Joker der Krisenzeiten, die Alien-Gläubigkeit, ausspielt und persifliert.
Von einem Wahnsinn ganz anderer Art handeln die Filme Leslie Thorntons. Die Semiotik-Professorin entwirft in ihnen Welten ohne Sprache und Ordnung, innere Wahnsysteme also, denen sämtliche Strukturen zur Orientierung und Kommunikation mit anderen fehlen. Im wesentlichen benennt sie hiermit die westliche Kultur als einen (mißlungenen) Ordnungsversuch von Natur. In dem bislang vierteiligen „Peggy and Fred“-Zyklus werden zwei Kinder in mehrjährigen Abständen gezeigt. Sie agieren in einer apokalyptischen Umgebung, die ununterscheidbar noch natürlich oder bereits kontaminiert ist. Ihr unbestimmtes Umherstreunen, ihre stammelnden Gespräche, in denen sie Medienhelden und Fernsehgenres nachvollziehen, die schwefelgelben Landschaften, wo Enten verwesen und Pinguine dem Symbolischen nicht entkommen können, sind Symptome einer bedrohlich unverständlichen Welt. Eingeschnittene Szenen zerstören den räumlichen Zusammenhang, Wiederholungen via Rücklauf den zeitlichen. Auch Thornton arbeitet mit gefundenem Material: an einer Stelle ist Filmmaterial von Edison, dem Erfinder des Vitaskops, zu sehen. War bei Edison der Ausschnitt der Niagara-Fälle noch eine Bewegungsstudie, kritisiert Thornton diesen funktionalistischen Umgang mit Natur, indem sie ein Fernsehtestbild dahinterschneidet.
Ebenfalls mit vorhandenem Filmmaterial beschäftigt sich der Filmmaniac Jack Stevenson in seiner „History of American Exploitation Film“. Allerdings stellt er keine eigenen Filme her, sondern präsentiert Exploitation-Filme und kommentiert sie live während der Vorführung. Die Filme haben ihre Wurzeln im Vaudeville der zehner und zwanziger Jahre, als fahrende Projektionisten übers Land zogen und ihre filmischen Monstrositäten in Saloons und Kabaretts zum besten gaben. Sex and Crime waren des Spießers Schrecken und Lust. So zeigt Stevenson in seiner Show die pikantesten Beispiele aus einer sechzigjährigen, „ausbeuterischen“ Tradition, von 1917 bis 1970, von Blaxploitation bis XXX.
Als Auseinandersetzung mit Ausbeutung und Geschlechterrollensterotypen könnte man den Aufhänger von Peggy Ahwesh beschreiben, einer New Yorker Filmemacherin, die für das Projekt mehrere Programme zusammenstellte. Zum Teil zeigt sie eigene Filme, die sie jedoch im Rahmen von Programmen in kongeniale Nachbarschaften stellt. So läuft ihr in Berlin bereits bekannter Film „The Deadman“ mit dem Betty- Boop-Comic „Bimbo's Initiation“ und einem Stummfilmporno „Getting his Goat“. In dem Ahwesh- Film, einer getreuen Bataille-Verfilmung, wird der männliche, voyeuristische Blick konventioneller Pornographie gegen einen weiblichen Blick der Begierde und Selbstbestimmung vertauscht. Weibliche Sexualität erscheint hier fordernd, aber nicht auf einem Ausbeutungsverhältnis beruhend. (Darin tut sich die Vorlage nicht schwer. Es wäre wenig vermessen, Bataille als „neuen Feministen“ zu bezeichnen.)
Die Koalitionen zwischen verschiedenen Medien und scheinbaren Kollaborationen von Spähern, die Feindesland erkunden und unterwandern wollen, ist nirgends so deutlich wie in der amerikanischen Video- und Public Access-Szene. Die dortigen Offenen Kanäle kann man guten Gewissens als demokratische Foren einer Gegenöffentlichkeit bezeichnen. Über 2.000 Public Access-Fernsehstudios mit mehr als 40.000 Sendestunden jährlich sind seit den siebziger Jahren in den USA errichtet worden. Das „Jäger und Sammler“-Projekt zeigt in seinen Videoprogrammen Beispiele politischer Aktionen. So die Dokumentation von Igor Vamos über eine nächtliche Umbenennung von Straßen Portlands in MALCOLM X ST., nachdem der Senat eine Hauptstraße in „Martin Luther Blvd.“ ändern wollte und die gewerebetreibenden Anrainer wegen zu hoher Werbekosten protestierten. Oder die Jagd von amerikanischen, paramilitärischen Jugendbanden an der martialisch bewachten Grenze. „Human Prey“ (menschliche Beute), der im Rahmen eines politischen Magazins von „Fox TV“ produziert wurde, stellt die Frage nach der Effizienz intellektueller Debatten wie „Multikulti“ und „P.C.“ (politically correct) angesichts einer grassierenden rassistischen (Re)Aktion.
Sowohl die Video-Programme als auch die Beispiele des amerikanischen Public Access sind von Chris Hill zusammengestellt worden. Die Public Access-Videos laufen täglich vier Stunden lang im Offenen Kanal. Dort wird dann der Videokünstler Tony Conrad in einem „TV Off The Streets“ zu sehen sein, wie er einmal wöchentlich vor dem Rathaus in Buffalo die Besucher fragte, was sie drinnen zu tun hatten. Und Brian Springer inszeniert seine „Elektronische Anklagebank“ in San Francisco, wo sich die Zuschauer per Telefon einschalten und in die Rollen von Richter, Staatsanwalt und Verteidiger schlüpfen können. Brian Springer lieferte auch das Material für die „Feed“-Dokumentation. Er zapfte die über Satelliten geschalteten Videokonferenz des amerikanischen Wahlkampfes an und zeigt all die Szenen des Davors und Danachs, die uns die öffentlichen Programme so gerne vorenthalten.
Auch „Paper Tiger TV“ – eine Kabelstation in Manhattan, wird zu sehen sein. „Paper Tiger TV“ existiert seit 1981 und beabsichtigt, die Manipulation von Medien inhaltsanalytisch aufzudecken. In jeder Sendung werden (Leit-)Artikel, Werbeanzeigen und Layouts von Zeitungen und Fernsehmagazinen untersucht und die ökonomischen Verflechtungen mit Anteilseignern und politischen Gruppierungen aufgezeigt. „Paper Tiger TV“ initiierte zur Zeit des Golfkriegs das Magazin „Gulf Crisis TV Project“, das wichtige Gegeninformationen zum CNN-Informationsmonopol lieferte und eine außergewöhnlich psotive Resonanz in der amerikanischen (und nur subkulturellen) Öffentlichkeit erfuhr. Ende des Monats werden drei Papiertiger bei „Art Acker Berlin“ ihre Medienanalysen exerzieren, was ja den einen oder die andere anregen mag, die deutschen Offenen Kanäle aufzumöbeln.
„Jäger und Sammler“, 12-17.11. im Eiszeit, Telefon: 6116016.
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