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Bremer Nobelpreis für Srulik und Lina

■ Premiere im Schauspielhaus: Joshua Sobol inszenierte sein Stück „Ghetto“ / Lachen und Weinen zugleich

Irgendwo spielt einer Klavier, sacht rollschuht ein Mann auf die Bühne, beginnt zu erzählen. „Unsere letzte Vorstellung.. Das war an dem Abend, bevor Kittel Gens ermordete. Zehn Tage später wurde das Ghetto liquidiert.“ Srulik (Thomas Klenk) hat es überlebt. Der Überlebende erzählt, vom Theater im Ghetto. „Leute, die wußten, daß sie am nächsten Morgen abtransportiert würden, zogen sich am Abend ihr bestes Zeug an und kamen ins Theater.“ Dasjenige, in dem und von dem „Ghetto“ handelt.

Fast alles in Ghetto hat sein historisches Vorbild im Ghetto von Wilna zwischen 1941 und September 1944. Alle gab es: Kittel ( Andreas Keller) , denSS- Führer, der die Musik von Gershwin liebt; Gens (Peter Kollek), den Ghettoleiter, der das Theater gründet und die NS-Selektion in jüdische Hand nimmt, um zu retten, wer zu retten ist und Dessler (Kurt Ackermann), den jüdischen Ghettoschergen. Ihre Photos sind im Programmheft abgebildet. Es gab auch die Lieder, die Isabel Dörfler als Chaja, sehr leise, sehr eindringend, singt, wie under daine vaisse shtern. Künstler im Ghetto haben sie gedichtet und gesungen, und nach dem Kriege — buchstäblich — in Wilna wieder ausgegraben.

Und dennoch ist Ghetto kein historisches Stück. Es ist die in Kunst transportierte Botschaft, die Sobol aus Gesprächen mit

Srulik und Lina, Eins in Zwei geteiltFoto: Jörg Landsberg

Überlebenden bezogen hat, „the lesson they have to tell us“. Es sind im Grunde zwei Botschaften. Die eine heißt: Musik und Theaterspiel haben uns das Leben gerettet, durch sie waren wir Menschen.Die andere, im Ghetto davon untrennbare: Wir haben einen Arbeitsschein fürs Spielen bekommen, und an unserer statt wurden andere abtransportiert.

Ghetto ist ein Gleiten wie zwischen Spiegeln. Selten weiß man gleich, in welchem der Theater, die die Welt ersetzen, es spielt.

Gerade improvisieren einige Weißkittel eine bitterernste Satire um die Frage, ob es richtig ist, die Lebensfähigsten mit Insulin zu retten, das für alle nicht reicht und dafür die Alten zu opfern. Das ist die Realität des Ghetto- Theaters. Kurz darauf sehen wir Gens dabei, das 'unzulässige' dritte Kind eines Paares den Mördern ausliefern, oder Dessler 600 Juden umbringen lassen, damit die Nazis nicht 2000 nehmen: das ist Realität des Ghettos selbst.

Und zwar eines, das lachen

hier das Theaterfoto

mit dem

Baskenmützenpaar

im

macht. Und weinen, daß man sich beim Rausgehen schämt. Das auch Scham erzeugt und Abwehr, im gleichen Moment. Vor der Pause ließen die Zuschauer das Klatschen sein, am Ende brachen sie mit Bravos den Bann. Ein Ereignis, das nicht die zur Kritik nötige Distanz läßt. Gehen Sie also hin.

Hier nur soviel: Von Sobols Botschaften scheint mir die erste gelungen, die zweite ein Problem, das ich hier nur andeuten kann: Der Tausch von Kunst gegen Arbeitsschein, die Demütigung, die Mitschuld, die Entmenschung der Spieler des Ghetto-Theaters und des Gens bleiben so sauber und unverwechselbar getrennt von ihrem menschlichen Kern und ihrer Selbstachtung, wie ich es nicht glauben kann. Das hängt, scheint mir, mit dem grundsätzlichen Dilemma dokumentarisch-historisch wirkender Darstellung zusammen. Das Überleben unter Bedingungen der Hölle läßt dann die Wahl, die Würde der Opfer noch einmal zu verletzen oder aber sie — schönend — wiederherzustellen.

Die erste Botschaft aber zu überbringen, das hat Sobol geschafft. Er zeigt das Lebendige an denen, die ermordet wurden und an denen, die überlebt haben. Wie dem lumpigen Haufen Elend, den Künstlern, die Gens für sein Theater zusammengesammelt hat, die Freude übers Überleben in die Glieder fährt und dem Akkordeonspieler (Alan Bern) in die klammen Finger, wie sie sich im Tanz, dem Freilach, entlädt, das sollte man nicht für „Folklore“ halten. Ich fand das sehr schön.

Und geradezu wunderbar ist Sobols Erfindung von Srulik und Lina (Geta Behrmann), der Puppe. Srulik hält Lina, schlaff und dennoch wiederständig, am Schlawickel, ihr großer Mund formt die lebensgefährlichen und —erhaltenden Dreistigkeiten, die Wahrheit, die er in sich zum Schweigen bringen muß, und die dennoch aus seinem Bauche kommen. „Sie wird alles sagen, um mich fertigzumachen.“ Sagt er. “Er wird alles sagen, um am Leben zu bleiben.“ Sagt Sie. Und sind doch nur Ein lebendig Wesen, das sich in sich selbst getrennt. Allein für diese zwei in Eins getrennten Wesen bekommen Sobol, Behrmann und Klenk hiermit den Bremer Nobelpreis überreicht. Uta Stolle

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