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Strafe als Maßstab der Kultur

■ „Peinliche Befragung“: Von Gefangenen selbsterstellte Ausstellung über Strafvollzug

Wedding. „Das Eingemauertsein ist für uns ein altes Thema“, lächelt Manfred Fischer, der junge Pfarrer der Versöhnungsgemeinde in der Bernauer Straße 111, und deutet zum Fenster hinaus. Auf der anderen Straßenseite bröckeln die Überreste der Mauer, der Pastor will sie als historisches Denkmal erhalten wissen. Im Gemeindezentrum geht es derzeit um andere Mauern, um jene, die Gefängnishöfe begrenzen und verschließen. Noch bis zum 27.November ist dort „Peinliche Befragung“ zu sehen, die bundesweit einzige Ausstellung über die Geschichte des Strafvollzugs, die von Gefangenen selbst erstellt worden ist. Ihr Initiator heißt Denis Pecic. 36 Jahre hat er in Gefängnissen verbracht. Unter der Ägide der Hamburger Justizsenatorin Eva Leithäuser (SPD), die eine ganze Reihe von Reformen im Strafvollzug durchsetzte, begann Pecic ab 1980 mit der Sammlung der Materialien. Mitgefangene der Fuhlsbütteler Anstalt „Santa Fu“ halfen ihm, die großformatigen Bilder zu entwickeln, und 1982 war die Ausstellung — trotz vieler gefängnisinterner Behinderungen — endlich fertig. Sie wanderte durch ein paar Städte und wurde dann, als ein in der Justiz wenig beliebtes Stück, in einer Garage kaltgestellt — die zerstörerischen Spuren dieser Lagerung sind unübersehbar, vieles ist vergilbt, manches gänzlich verschwunden. Ein Berliner Gefangener war es dann, der eine Vollzugshelferin an die vergessene Ausstellung erinnerte, nun steht sie in ihrer Gemeinde.

Eine Warnung vorweg: Vergnüglich ist sie nicht. Der Name „Peinliche Befragung“ leitet sich von der mittelalterlichen Folterabfolge ab. Dokumentiert werden historische Folterwerkzeuge, Hinrichtungsarten und -maschinen wie das Fallbeil, mit dem in Hamburg in der Nazizeit wieder über 600 Menschen getötet wurden. Fotodokumente über Gefängnisarchitektur und Knastarbeit — Deutschland halte „die letzten Sklaven Europas“, findet Denis Pecic — leiten zur Neuzeit über. Der moderne Knast, das sind knallende Türen, Schlüsselrasseln, Rufe, Schreie, ein ewiger, nervtötender Lärmpegel — Wirklichkeitssimulation vom Band, aufgezeichnet an einem normalen Werktag in der JVA Tegel. Geradezu beschwichtigend wirkt hingegen die Farbfotoreihe aus dem Reformvollzug in Santa Fu. Denn sie suggeriert, wahrscheinlich ohne es zu wollen, daß wir nach Jahrhunderten der Folter und Barbarei nun mitten in der Humanität gelandet sind. Erstens aber ist davon im Hamburger Knastalltag von heute nur wenig übrig geblieben. Und zweitens drängt sich die Frage auf, wie die Generationen nach uns den hanebüchenen Unsinn beurteilen mögen, Menschen zur Sühne jahre- und lebenslang einzusperren. Der Maßstab für die Kultur eines Volkes seien die Gefängnisse, formulierte einstmals Winston Churchill. Aber auch die Art und Länge der Strafe, sollte man ergänzen. Genau dieses Thema möchten Pfarrer Manfred Fischer und sein Mitarbeiter Rainer Just „endlich mal wieder in die Öffentlichkeit bringen“. Mit der Volkshochschule Wedding haben sie deshalb ein umfangreiches Rahmenprogramm organisiert, in dem auch betroffene Langsträfler selbst zu Wort kommen. Damit wenigstens die Mauer des Schweigens schwinde, sagt der Pastor und blickt auf die Überreste der Berliner Mauer. Ute Scheub

Die Ausstellung in der Versöhnungsgemeinde, Bernauer Straße 111, Wedding, ist von Mo-Fr von 9-16 Uhr, Mi von 9-19 Uhr und So von 11 bis 13 Uhr geöffnet. So. 16 Uhr Diskussion im Erzählcafé über Langzeitstrafe aus der Sicht Betroffener. Mi. 18.11. (Bußtag), 20 Uhr: Gerhard Mauz spricht über den Sinn des Strafens. Fr. 20.11., 20 Uhr: „Verstopfte Sinne“, Musik und Gefangenschaft — Konzert mit Achim Oerter und Peter Röbke.

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