: Wenn der Reißverschluß klemmt
Nach dem Verhandlungsmarathon von Grünen und Bündnis90 bleibt die Quotierung auf der Strecke/ In den neuen Ländern ist das Reißverschlußprinzip nur eine Frage des guten Willens ■ Von Karin Flothmann
Berlin (taz) – Der gemeinsame Name ist zwar noch strittig. Ansonsten demonstrieren die VerhandlungspartnerInnen vom Bündnis90 und den Grünen inzwischen Einmütigkeit, wenn es um die geplante Fusion von West-Partei und Ost-Bewegung geht. Nach dem jahrelangen Verhandlungsmarathon drohen nun aber frauenpolitische Ziele und Errungenschaften auf der Strecke zu bleiben.
Zum Beispiel die Quotierung. Vorläufiges Endergebnis der Fusionsverhandlungen in Berlin: Die Bundeswahllisten der neuen Länder sollten, müssen aber nicht quotiert sein. Diese Sonderregelung für die ostdeutschen Landesverbände gilt bis Ende 1994. Darüber hinaus können – laut neuestem Satzungsentwurf – die „neuen, gemeinsamen, ostdeutschen Landesverbände autonom über Anwendung und Zeitpunkt der Einführung des Frauenstatuts“ entscheiden. Alle Satzungsänderungen dieser Art unterliegen einer Sperrklausel und dürfen bis 1997 nicht verändert werden.
Die Bundestagswahl 94 wird also, bleibt es bei dieser Entschließung, nicht nach dem bewährten Reißverschlußprinzip stattfinden. Ob die Listen nun gleichberechtigt besetzt werden oder nicht, hängt ausschließlich vom guten Willen der Mitglieder ab. Viele grüne Frauen befürchten nun, daß ohne Druck die Macht des Faktischen regieren wird: Im Landesvorstand der Thüringer Grünen sitzt beispielsweise keine einzige Frau.
Für Christine Weiske, Bundessprecherin der Grünen, ist dieses Verhandlungsergebnis nicht akzeptabel. „Der Frauenanteil im Bündnis90 ist gar nicht so niedrig, wie immer behauptet wird“, erklärt sie. Tatsächlich sind mehr als ein Drittel der Mitglieder weiblichen Geschlechts: Insgesamt 37Prozent.
Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Quotierungsbeschlusses haben die West-Grünen vor allem auf kommunaler Ebene immer wieder gehabt. Angesichts der herrschenden Politikverhältnisse sei eben die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern nur über die festgeschriebene Quote zu erreichen, weiß Christine Weiske aus Erfahrung. Bleibt es bei der jetzt erzielten Vereinbarung, dann seien „Frauen im Osten eindeutig schlechter gestellt und den West- Frauen gegenüber benachteiligt“.
Daß die Quotierungsregelung innerhalb des Bündnisses „eben noch keine Rolle gespielt hat“, so Hans-Jürgen Fischbeck, der für das Bündnis90 in der gemeinsamen Verhandlungskommission sitzt, läge daran, daß „andere Probleme vorrangig waren“. Für ihn ist die Quotierung jedoch unumstrittener Bestandteil grüner Politik. Werner Schulz, Verhandlungsführer des Bündnis90, verweist dagegen darauf, daß auch die Grünen in ihrer zehnjährigen Geschichte immer wieder von der Quotierung abgewichen seien: „Es gibt beim Bündnis90 eben Abwehr, westdeutsche Regeln ohne Wenn und Aber zu übernehmen.“
Kathrin Göring-Eckert, ebenfalls Kommissionsmitglied für das Bündnis90, sieht auch Versäumnisse im Westen. „Wenn ich mir die baden-württembergische Landtagsliste der Grünen angucke, dann halten es die ja wohl auch nicht so genau mit ihrer Quote.“ Zufrieden ist sie mit dem jetzigen Verhandlungsergebnis allerdings nicht. Sie hofft, „daß es noch vor der Vereinigung mit den Grünen zu einer Quotierungsregelung kommen wird“. Und auch dem Frauenstatut gibt sie Chancen, obwohl „uns im Osten auch der Name Statut aufstößt, denn mit Statuten haben wir so unsere Erfahrungen“.
Im Gegensatz zur bundesweiten Fusion zeichnet sich auf Berliner Ebene weitaus Fortschrittlicheres ab. In den gemeinsamen Verhandlungen zwischen Grüne/AL und Bündnis90 wird die Quote nicht in Frage gestellt. Das „Frauenstatut“ soll, ergänzt um frauenpolitische Bündnis-Forderungen nach einer verbesserten Parteikultur und garantierter Kinderbetreuung, Bestandteil der Landessatzung werden. Helga Lukoschat, frauenpolitische Sprecherin der Berliner AL, hält daher das jetzige Verhandlungsergebnis der gemeinsamen Kommission für „völlig inakzeptabel“ und plädiert für eine Übernahme des Berliner Modells auf Bundesebene. Grüner Länderrat und die Verhandlungsversammlung des Bündnis90 treffen sich dieses Wochenende, um noch einmal zu diskutieren. Ein Wochenende später tritt die gemeinsame Verhandlungskommission ein letztes Mal zusammen, am 23. November soll der Fusionsvertrag dann von beiden Seiten unterzeichnet werden. Im Januar sollen – läuft alles nach Zeitplan – Delegierte von West-Partei und Ost-Bewegung dann per Urabstimmung ihr Votum zum Vertrag abgeben.
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