„Wir brauchen den Pazifismus noch“

Unter Aufgabe ihres kritischen Verstandes behaupten derzeit selbst Menschen mit vormals linkem Selbstverständis, der politische Pazifismus sei in der Krise oder gar historisch überholt. Das geht einher mit der Behauptung vom Ende der Geschichte, die von interessierter Seite aus dem Fehlen jeglicher Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft gefolgert wird.

Das einzige Ende, das ich tatsächlich erkennen kann, ist jedoch das Ende des bisherigen Ost-West-Gegensatzes – mit natürlich weitreichenden Konsequenzen für die weitere Politik. Die Pazifisten sind auch deshalb nicht in der Krise, weil wir schon immer fast mehr an die Zukunft gedacht haben als an die Gegenwart. Einfach, weil in der Gegenwart entweder Krieg herrschte oder der nächste Krieg gerade vorbereitet wurde. Die Planung der Zukunft, in der nach unserer Hoffnung endlich die menschliche Vernunft zum Durchbruch kommen sollte, schloß nie eine bestimmte Vorstellung über die Organisation der politischen Verhältnisse ein, immer jedoch die Vorstellung gewaltfreier Konfliktaustragung.

Zum utopischen wie zum praktischen Gehalt des Pazifismus gehörte immer neben dem kategorischen Imperativ von Kant auch der Imperativ von Hans Jonas: Wir müssen heute so handeln, daß das Recht und die Möglichkeit künftiger Generationen zur Gestaltung ihres Lebens nicht in Frage gestellt wird. Im aktuellen Fall Jugoslawien etwa ist daher unser Problem nicht nur, wie jetzt das Leben vieler tausend Menschen gerettet werden kann.

Wir müssen daran denken, daß im ehemaligen Jugoslawien künftige Generationen leben werden und – auch in getrennten Staaten – miteinander auskommen müssen. Lösungen für die Situation jetzt müssen für diese Zukunft tragfähig sein, sonst sind sie keine Lösungen. PazifistInnen haben tatsächlich keine kurzfristigen Problemlösungen, aber schon mittelfristig bieten sie eine echte Alternative zu jedweder Waffenanwendung. Niels Petring

Vorabdruck aus der Rede, die der DFG-VK-Bundesgeschäftsführer heute zur 100-Jahresfeier der DFG-VK hält