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Kultur beginnt bei alltäglichen Dingen

■ Die integrative Kulturarbeit im Britzer Asylbewerberheim Gutschmidtstraße ist von Sparmaßnahmen bedroht

Britz ist wahrlich nicht der Nabel der Welt. Vom Zentrum bis nach Britz-Süd braucht die U- Bahn über eine halbe Stunde. Wer hier wohnt, muß schon einige Anstrengungen auf sich nehmen, um beispielsweise ins Kino oder Theater zu kommen. Die Bewohner des Asylbewerberheims in der Gutschmidtstraße haben es da – nicht nur aus Geldnot – besonders schwer. Aus Angst vor nächtlichen Überfällen finden kulturelle Aktivitäten fast zwangsläufig nur im eigenen Haus oder im Stadtbezirk statt.

Das Heim ist eines von 25 Häusern im Westteil der Stadt, die vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) verwaltet und betreut werden. Es ist ein Heim der „Phase 2“, wie das im Amtsdeutsch heißt. Menschen, die hier leben, haben ihren Antrag auf Asyl gestellt und warten nun auf die Anhörung oder den endgültigen Bescheid. Im Durchschnitt dauert das drei Jahre; es hat aber auch schon Fälle gegeben, wo Familien sieben Jahre ausharren mußten. In der Gutschmidtstraße leben 460 Menschen aus 26 Ländern. Elf Sozialarbeiter – über die Hälfte sind selbst Ausländer – versuchen den Bewohnern das Leben in der Warteschleife so gut es geht zu erleichtern. Pro Tag und pro Asylbewerber stehen dem DRK zwanzig Pfennig für kulturelle Aktivitäten zur Verfügung. Jeweils die Hälfte dieses Etats ist in jedem Heim für die Kinder reserviert. Davon werden Theater- oder Kinokarten bezahlt, Veranstaltungen und gelegentliche Reisen organisiert.

„Kultur beginnt ja eigentlich bei ganz alltäglichen Dingen“, erzählt Heimleiter Hussein Gyl, ein Kurde, der seit zwanzig Jahren in Deutschland lebt. Wenn so viele Kulturen so eng aufeinandertreffen, gilt es erst einmal, Sprachbarrieren zu überwinden und für Toleranz gegenüber religiösen und nationalen Eigenarten zu werben. Kleine Zusammenkünfte, gemeinsames Kochen oder Folkloreabende sind Schritte in diese Richtung. „Wir haben es noch ganz gut“, gibt Hussein Gyl zu, „der Betreuerschlüssel des DRK liegt im Moment noch wesentlich höher als der privater Betreiber von Asylbewerberheimen. Dort müssen die Kollegen mit der Hälfte an Personal auskommen.“ So bleibt dann kaum Spielraum für die Organisation von Freizeitaktivitäten, wie Gyl, der früher selbst in einem privaten Asylbewerberheim gearbeitet hat, aus eigener Erfahrung weiß.

In erster Linie begreifen sich die Sozialarbeiter in der Gutschmidtstraße als Sprachvermittler. Alle sprechen zwei oder drei Sprachen. „Bei so vielen Nationalitäten ist das anders gar nicht möglich.“

Das Zusammenwohnen im Heim verläuft trotz aller Schwierigkeiten im großen und ganzen friedlich. Zwar sind die Räumlichkeiten begrenzt, aber immerhin hat jede Familie ihre eigene Küche. Zu verschiedenen Anlässen – meist zum Sommerfest und zu Weihnachten – kocht auch jeder für jeden. Die Heimleitung steht mit ihren Initiativen immer wieder vor dem Spagat ihrer eigenen Ansprüche: Einerseits will man den Bewohnern Hilfen anbieten, ihre eigenen kulturellen Traditionen so weit wie möglich zu bewahren, andererseits soll den Asylbewerbern die Integration hier in Deutschland erleichtert werden.

Für die Kinder und Jugendlichen ist es noch am einfachsten. Alle besuchen Schulen in der Umgebung, Kontakte ergeben sich da zwangsläufig. Seit kurzem gibt es im Heim auch einen Jugendfreizeitraum, in dem die Kids ihre Discos veranstalten und Freunde einladen können. Inzwischen hat sich das im Kiez so herumgesprochen, daß auch Jugendliche, die nicht hier wohnen, den Raum für Feste nutzen. Nicht ohne Stolz erzählt der Jugendbeauftragte des Heims, daß erst vor zwei Wochen ein siebzehnjähriges deutsches Mädchen hier ihren Geburtstag mit mehr als dreißig Gästen gefeiert hat.

So werden Berührungsängste abgebaut. Immer öfter kommen neuerdings Lehrer mit ihren Schulklassen in die Gutschmidtstraße, einige Male wurden hier sogar Unterrichtsstunden abgehalten. Integrationsarbeit in kleinen Schritten, die inzwischen Wirkung zeigt: Vor einigen Monaten organisierten die Lehrer der Fritz-Karsen-Schule ein Benefizkonzert in ihrer Aula, zu dem die Bewohner des Asylbewerberheims eingeladen waren. Fast alle kamen, und eine kurdische Folkloregruppe, die im Heim in Zusammenarbeit mit dem „Kurdischen Zentrum“ für sieben- bis elfjährige Kinder entstanden ist, hatte dort einen umjubelten Auftritt.

Auf dem Schreibtisch des Heimleiters liegt eine Einladung zum Weihnachtsbasar der benachbarten Hephate-Gemeinde. Die Kontakte dorthin sind schon seit Jahren sehr eng, seit Hoyerswerda wurden sie sogar noch verstärkt. „Das macht uns Mut“, gibt Herr Gyl zu, „denn natürlich haben auch unsere Bewohner Angst.“

Anfang des Jahres initiierte das Heimatmuseum Neukölln eine Ausstellung mit dem Namen „Fluchtpunkt“. Asylbewerber aus dem Heim in Britz dokumentieren die Geschichte ihrer Flucht mittels Schriftstücken und persönlichen Gegenständen, sie berichten über ihr Leben in ihren Heimatländern und über ihre Vorstellungen von einem Leben in Deutschland. Die Ausstellung war bereits im Rathaus Neukölln zu sehen, demnächst wird sie in einer Neuköllner Kirche gezeigt.

„Eigentlich haben wir hier die Chance, eine multikulturelle Gesellschaft im kleinen aufzubauen“, überlegt der Jugendbetreuer laut. „Wo leben sonst so viele Nationen auf so engem Raum zusammen?“ Ob sich dieses Ziel im nächsten Jahr noch in Angriff nehmen läßt, ist allerdings zweifelhaft. Denn ab Januar muß auch das DRK mit weniger Mitarbeitern auskommen. Das Landesamt für soziale Aufgaben argumentiert mit dem Rücken zur Wand: Der Sparzwang läßt inzwischen nur noch das Nötigste zu. Und, so heißt es von Senatsseite, in den privat verwalteten Asylbewerberheimen gehe es schließlich doch auch irgendwie! burk

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