Die Reine Lehre vom Asyl

■ Plädoyer für eine anständige Interessenslage

Etwas Heiliges, ein Rüchlein nach Weihrauch hat das Asyl schon immer gehabt. Schon Moses gewährte sechs Freistätten für Verfolgte, im alten Griechenland war der Apollontempel in Delos der berühmteste Ort für Asylsuchende und seit Konstantin ging das Asylrecht auf die Kirchen und Klöster über. Wer Asyl gab, saß auf dem (hohen) Gnaden-Roß.

Daneben gab es stets die demographische Absicht: Von Romulus, der das freie Feld zwischen Kapitol und Burg ein wenig mit Immigranten auffüllen wollte bis zu den Vereinigten Staaten von Amerika, die auch besiedelt sein wollten. Wer Asyl gewährte, wollte oft auch ein wenig von den Asylsuchenden profitieren.

Zwischen Selbsterhöhung und Kosten-Nutzen-Rechnung: ganz uneigennützig war Asyl nie, auch nicht, als es die Verfassungsväter ins Grundgesetz schrieben – das war wohl Dankesschuld an das Ausland für Schutz der Emigranten vor den Nazis, es war aber auch die Überlegung, daß es einen einmal selber treffen könne.

Vertreter der Reinen Lehre nennen das scheinheilig, und wir haben sie ja letzthin auch wieder vernommen, den Heiligen Streibl und den Heiligen Autonomen, wie sie alle anderen für scheinheilig erklären...

Da ist mir eine anständige Interessenlage lieber. Und so wie es mein Interesse als Verleger ist, keinesfalls nur deutsche Bücher von deutschen Autoren für deutsche Leser zu veröffentlichen, sondern auch Bücher von italienischen, französischen oder englischen Autoren, damit wir nicht verblöden, so ist es mein Interesse, keinesfalls nur unter Deutschen mit lupenreinem Ariernachweis bis zu Karl dem Großen zu leben.

Pfui Deibel.

Haben wir denn vergessen, daß ein anständiger Berliner Lefèvre heißt und ein Ruhrpottbewohner Szepan und daß mitten im Westerwald Deutsche leben, die Leonardi heißen? Es wäre ja furchtbar, wenn wir unter uns blieben! Wir bleiben ja schon viel zu viel unter uns, wenn man unsere Einbürgerungs- (nicht Asyl-) gesetze mit denen anderer Länder vergleicht: Wenn ein Russe auch nur eine Urgroßmutter mit deutschen Sprachkenntnissen hat, ist er im Gesetzesumdrehen deutscher Staatsbürger. Das passiert einem Deutschen in Berlin- Kreuzberg, dessen Eltern Türken sind, nicht so schnell, da mag er hundertmal hier geboren und in die Schule gegangen sein. Von schwarzen oder gelben Deutschen ganz zu schweigen – das können sich die Leute offenbar noch gar nicht vorstellen. Dabei müßten sie nur mal nach Paris, London oder Amsterdam fahren, um schwarze Franzosen, braune Engländer oder gelbe Holländer zu sehen. Also: Wir sollen uns auch nicht so dicke tun mit unserem feinen Asylparagraphen, als seien wir die Größten in Europa. Klaus Wagenbach

Der Autor ist Verleger in Berlin