piwik no script img

■ Nach dem Tod des Ungeborenen von ErlangenDas Experiment hat erst begonnen

Der Fötus von Erlangen ist tot. Das Experiment geht weiter. Die Menschenmacher der modernen Medizin haben sich ein weites Experimentierfeld eröffnet. Der Tod des ersten Fötus, der in der Leiche seiner Mutter zum Kind heranreifen sollte, ändert daran nichts. Erlangen hat heftigen Streit ausgelöst über die Grenzen der Wissenschaft, über Männermacht und Frauenverachtung, um Tod und Leben, um das Sterben einer Frau. Der Streit war menschlicher als das Experiment. Aber während um Grenzen gestritten wurde, waren sie schon überschritten.

Die Öffentlichkeit, die den Fall überwiegend ablehnend debattierte, kroch den Herren über die tote Mutter doch auf den Leim, indem sie bald anfing, vom Erlanger „Baby“ zu reden und von den Eltern der Toten als den „Großeltern“ dieses „Babys“. Das Ungeborene war ohne die ihm künstlich erhaltene Muttermaschine nicht lebensfähig, es war und blieb ihr Teil. Doch in Sprache und Bewußtsein ist in Erlangen ein Fötus Person geworden, eine sterbende oder gestorbene Frau – auch hierüber ging der Streit – wurde zum Ding, zum „fötalen Umfeld“. Dieses „Umfeld“ wurde nun abgeschaltet. Einschneidender aber bleibt, daß die Medizin-Männer den Knopf zum An- und Abschalten auch weiterhin in ihren Händen halten. Das nächste Leben im Bauch einer Hirntoten kommt bestimmt. So muß die Erleichterung darüber, daß das Erlanger Experiment auf die einzige noch mögliche Weise beendet wurde, der Erkenntnis weichen: Dennoch ist es auf erschreckende Weise gelungen.

Daß in Erlangen ein Menschenversuch und nichts anderes stattfand – ein Männer-Experiment an einer Frau –, ist nie so deutlich geworden wie jetzt. Bedauern äußerten die Mediziner nicht über den Tod des erst von ihnen zum Subjekt erhobenen Fötus. Kein Wort des Mitgefühls auch für die Eltern der Toten und als „Großeltern“ instrumentalisierten Angehörigen – die Überlebenden dieses Experiments. Denn die Lebenden, ihre Kraft oder ihr Versagen, die qualvolle Situation auszuhalten, waren unverzichtbarer Teil des Experiments. Die Ärzte scheuten den Zugriff auf sie ebensowenig wie den auf die Tote. Es gehe ausschließlich um diese Lebenden und um das werdende Leben, behaupteten sie.

Doch nun, am Ende des Experiments, äußerten diese Ärzte Bedauern allein darüber, daß sie die Leichen der Mutter und des Ungeborenen nicht sezieren durften, um die Todesursache festzustellen. Daß sie also ihren Versuch nicht geordnet abschließen konnten und ihrer Experimentierwut doch noch ein Riegel vorgeschoben wurde. Der verantwortliche Rechtsmediziner Wuermeling versuchte bis zum Unerträglichen, die Zustimmung zur Obduktion zu ergattern, die Eltern der Toten noch einmal auszubeuten. Doch die Lebenden haben sich gewehrt. Nur so werden Grenzen gezogen. Bettina Markmeyer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen