Was sich paart, das rechnet sich

■ Verfassungsgericht: Höhere Arbeitslosenhilfe für doppelverdienende Lebensgemeinschaften

Berlin (taz) – Wer eine Ehe ohne Trauschein führt, muß auf die besonderen finanziellen Vorteile verheirateter Paare verzichten. Geht es dagegen um die Nachteile, die etwa aus der Anrechnung des Einkommens eines Partners bei der Arbeitslosenhilfe des anderen entstehen, ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft gleichgestellt. Diese Praxis bestätigte am Dienstag das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. In dem verhandelten Fall ging es um die Arbeitslosenhilfe, die einer in „wilder Ehe“ lebenden Frau erheblich gekürzt worden war, weil das Einkommen ihres Partners angerechnet wurde. Diese Regelung ist grundsätzlich verfassungsgemäß, entschied das Gericht.

Frohe Kunde gibt es trotzdem für alle Paare, ob mit oder ohne Trauschein. Die Karlsruher Richter entschieden, daß die derzeitige Berechnung der Arbeitslosenhilfe in wesentlichen Punkten verfassungswidrig ist. Zwar sei es zulässig, wenn in einer „Doppelverdiener-Ehe“ mit oder ohne Trauschein das Einkommen des arbeitenden Partners bei der Berechnung der staatlichen Unterstützung angerechnet werde. Diese Anrechnung sei aber derzeit unvertretbar hoch – im Klartext: Die Arbeitslosenhilfe muß in diesen Fällen ab sofort kräftig erhöht werden. Auf den Bund kommen dadurch Mehrbelastungen in dreistelliger Millionenhöhe zu.

Die Richter argumentierten, daß durch die derzeitige Regelung Ehen benachteiligt würden, in denen sowohl der Mann als auch die Frau arbeiten. Verdient dagegen nur einer der Partner, hat das bei der Festlegung der Arbeitslosenhilfe keinerlei Auswirkungen. Damit sei die „Hausfrauen-Ehe“ unzulässig begünstigt, die „Doppelverdiener-Ehe“ dagegen unzumutbar belastet. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbiete aber die Festschreibung überkommener Rollenverteilungen zum Nachteil von Frauen. Selbst das Existenzminimum werde bei Doppelverdienern unter Umständen nicht gewährleistet.

Die Diskriminierung könne durch eine Erhöhung der Freibeträge beseitigt werden, so die Karlsruher Richter. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, diese Freibeträge deutlich zu erhöhen. Der Freibetrag – der sogenannte „Selbstbehalt“ – liegt derzeit bei monatlich 650 Mark. Die Neuregelung gilt ab sofort; der Paragraph 138 des Arbeitsförderungsgesetzes darf in den entsprechenden Fällen nicht mehr angewendet werden. Künftig muß dem weiter verdienenden Partner in Doppelverdiener-Ehen mindestens ein Resteinkommen in Höhe der hypothetischen Arbeitslosenhilfe verbleiben.

Das Bundesverfassungsgericht beanstandete auch die Berücksichtigung von Unterhaltsverpflichtungen eines Partners aus früheren Ehen. Die im Arbeitsförderungsgesetz festgelegten Freibeträge – derzeit 280 Mark im Monat je unterhaltsberechtigter Person – seien auch hier realitätsfremd. Tatsächliche Unterhaltsleistungen müßten dem Verpflichteten in voller Höhe angerechnet werden.

Der Wegfall der Arbeitslosenhilfe durch Anrechnung eines Partnereinkommens habe zudem nachteilige Folgen für die Rentenberechnung und den gesetzlichen Krankenversicherungsschutz. Beide Nachteile müßten bei einer künftigen Regelung berücksichtigt werden, urteilten die Roten Roben.

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken sah das Gericht dagegen in der Gleichbehandlung von Ehen und eheähnlichen Gemeinschaften bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe. Erstmals definierte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung, was eine eheähnliche Gemeinschaft ausmache. Von einer solchen „Verantwortungs- und Einstehgemeinschaft“ sei dann auszugehen, wenn sie auf Dauer angelegt sei und daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulasse. Zudem müsse sie sich durch innere Bindungen auszeichnen, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander in Not- und Wechselfällen des Lebens begründeten, also über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgingen. Für die Obersten Richter fallen nur heterosexuelle Paare, nicht aber Schwule und lesbische Gemeinschaften unter den Begriff eheähnliche Gemeinschaft.

Ob die besonderen Merkmale einer eheähnlichen Gemeinschaft erfüllt werden, lasse sich nur anhand von Indizien feststellen. In Betracht kämen etwa die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen. (AZ: BVG 1 BvL 8/87) klh

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