: Zu Hause sein im Fremdsein
■ Die afro-deutsche Autorin Katharina Oguntoye über das anstrengende Erbe, Deutsche zu sein / "Ich spüre, ich kann mich auf Deutschland nicht verlassen"
taz: Empfinden Sie das als eine paradoxe Situation: Deutsche zu sein und gleichzeitig Ziel dieses Hasses auf Ausländer?
Katharina Oguntoye: Rassisten grenzen aus, indem sie sagen, die gehören nicht zu unserer Kultur, die haben eine andere Religion, essen etwas anderes, sprechen eine andere Sprache. Das ist bei uns nicht der Fall. Dennoch sind wir diesen Angriffen ausgesetzt. Ich laufe ja nicht auf der Straße rum und wedele mit meinem Paß. Und ich weiß auch, daß es nicht darum geht. Wenn nicht Asylbewerber angegriffen werden, dann suchen sich Rechtsradikale eine andere Gruppe raus, die sie angreifen. Wir sind eine sichtbare Gruppe und deswegen immer angreifbar. Das ist uns klar, und deswegen ist die Gruppe auch offen für andere Leute.
Die meisten Mitglieder sind deutsch-afrikanischer oder deutsch-asiatischer Herkunft und haben eine deutsche Staatsbürgerschaft. Aber es gibt in unserer Gruppe auch Menschen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Wir grenzen niemand aus, nur weil er nicht den richtigen Paß hat. Das entscheidende Kriterium ist für uns, hauptsächlich in Deutschland sozialisiert zu sein und zu dieser Kultur zu gehören.
Erzwingt die Herkunft zwangsläufig ein schwieriges Verhältnis zu dieser „Nation“?
Ich glaube nicht, daß ich mehr mit Deutschland hadere als irgend jemand anders. Ich finde, daß die Deutschen alle mit ihrer deutschen Identität nicht klarkommen. Der Unterschied ist, daß du als Afro- Deutsche dich damit aktiv auseinandersetzen mußt. Es gibt deswegen Menschen im Umfeld der Initiative, die nicht Mitglied sein wollen, weil sie sagen, sie wollen keine Deutschen sein. Das kann ich auch verstehen. Das ist ein anstrengendes Erbe. An der Tatsache, daß ich hier sozialisiert und hier zu Hause bin, ändert das aber nichts. Deswegen ist es für mich kein Problem. Ich hadere damit nicht, sondern sehe es als etwas, mit dem ich mich aktiv auseinandersetze. Deutsch sein kann nur etwas Positives sein, wenn ich auch dazu beitrage, daß Sinti und Roma, daß deutsche Juden zu ihren Rechten kommen, daß hier niemand verfolgt und umgebracht wird. Wenn wir das schaffen, ist das ein Schritt, daß „Deutschland“ sich selbst auflöst. Ich finde es merkwürdig, daß die Mehrheit der Bevölkerung nicht begreift, daß mit rassistischen Überfällen allen Deutschen die Identität wegschwimmt.
Welche Auswirkungen hat das für Sie?
Ich spüre, ich kann mich auf Deutschland nicht verlassen; ich kann mich auf einzelne Leute verlassen, aber ich habe schon vor Jahren gesagt, der Paß kann mir weggenommen werden, das ist nichts, worauf ich Häuser bauen kann.
Spüren Sie deshalb eine ständige Distanz?
Ich bin eigentlich nicht sehr distanziert, weil ich sehr stark in dieser Kultur verwurzelt bin. Ich habe das für mich so formuliert: zu Hause sein im Fremdsein. Mir ist klargeworden, daß ich diese Unsicherheit auch mit in meine Heimat-Identität reingenommen habe. Ich werde immer fremd sein, auch wenn ich überhaupt nicht fremd bin. Eine gewisse Fremdheit ist immer da.
Akzeptieren Sie die Distanz jener in der Gruppe, die nicht Deutsche sein wollen?
Die meisten Leute, die jetzt nicht als Deutsche gelten wollen, die haben den Wohlstand und die Sicherheit hier ebenso genossen wie die Vorteile eines deutschen Passes, der einem überall in der Welt die Türen öffnet. Deswegen fühle ich mich dafür verantwortlich, damit ich nicht nur nehme, sondern dafür sorge, daß es hier nicht falsch läuft. Irgendwann mußt du dich einsetzen für deinen Nachbarn, da bleibt nichts anderes übrig. Für mich ist das logisch. Wenn wir das nicht machen, dann gibt es irgendwann hier eine Riesenrandale, die jeden trifft, auch den in Puschen vor seinem Fernseher. Es hört doch nicht auf. Es gibt doch auch den Rassismus gegen andere Weiße: Schließlich können nach Statistiken sechzig Prozent der Deutschen ihren Wohnungsnachbarn nicht leiden. Was ist Rassismus: Ich will andere nicht wahrnehmen, ich will mit anderen nicht teilen. Das sich das jetzt auf Menschen mit anderer Hautfarbe projiziert, ist ja nur die Übersteigerung einer inneren Vereinsamung und Isolation, daß ich überhaupt nicht in der Lage bin, andere als Menschen wahrzunehmen und mich mit denen auseinanderzusetzen. Da gibt es Versäumnisse, die jetzt rauskommen. Das Wirtschaftswunder schlägt hier noch einmal massiv zu. Für mich zeigt es, wie uns der Konsum entmenschlicht hat, daß man für den eigenen Fernseher bereit wäre, den Nachbarn umzubringen. Deswegen müssen wir uns jetzt darum kümmern, um in Ruhe zu teilen.
Der Rassismus gegen ausländische Menschen ist deswegen nur die Verlängerung des Rassismus innerhalb der Deutschen?
Ja. Das habe ich nach der Maueröffnung gemerkt, als sich nach kurzer Zeit der Haß und die Frustrationen der Westdeutschen auf die ostdeutschen Bürger gestülpt hat. Da waren das plötzlich die „anderen“, nur weil sie eine andere Lebensentwicklung hatten – dabei sprechen die doch die gleiche Sprache, haben die gleichen Namen und die gleiche Hautfarbe. Doch selbst da können die Unterschiede nicht verkraftet werden. Das ist doch eine menschliche Bankrotterklärung unserer Gesellschaft.
Wie sehr hat das Thema Rassismus und die Angst vor rassistischen Ausschreitungen das Treffen der Initiative Schwarzer Deutscher überschattet, das vor kurzem stattgefunden hat?
Die Angst und die Überschattung gab es bereits im vergangenen Jahr nach Hoyerswerda. Bereits im vergangenen Jahr haben wir auf dem Treffen bei Bremen einen Schutz organisiert. Das war das erste Mal, daß wir uns nicht sichergefühlt haben. Es war in den Diskussionen auch die Angst zu spüren. Besonders jene, die aus der ehemaligen DDR kommen, haben von ihrer Situation berichtet, die sie als sehr schlimm empfunden haben.
Vor sieben Jahren, bei der Gründung der Initative Schwarzer Deutscher, stand wahrscheinlich der Kampf gegen Rassismus nicht an erster Stelle.
Nein, darüber war ich damals sehr froh. Wir haben uns zusammengetan, um die Vereinzelung zu überwinden und eine eigene Identität zu bilden. Wir wollten uns selber verorten. Es gab ja keinen Namen für uns, nur diese negativen Bezeichnungen wie Mischlinge oder Besatzungskind. Gleichzeitig wollten wir aber nach außen wirken und für eine multikulturelle, antirassistische Gesellschaft eintreten.
Der multikulturellen Gesellschaft ist man in dieser Zeit nicht nähergekommen; jetzt müssen selbst ganz simple Grundrechte verteidigt werden. Das muß entmutigen.
Es entmutigt mich manchmal. Aber es gibt nicht die Wahl aufzuhören. Auf der anderen Seite wird nun aber auch deutlich, daß die multikulturelle Gesellschaft bereits existiert. Das ist gar nicht mehr die Diskussion, ob man das will. Die Leute aus anderen Ethnien sind doch längst da. Bei dieser Aufgabe hilft es aber, daß unsere Gruppe bereits existiert. Es wäre sehr viel schwieriger, sie heute zu gründen. Vielen würde das Wort im Halse steckenbleiben, daß sie Deutsche sind. Vor sieben Jahren war es leichter, sich zu diesen Wurzeln zu bekennen.
Katharina Oguntoye ist Mitbegründerin der Initiative Schwarzer Deutscher und Autorin des Buches „Farbe bekennen“.
Interview: Gerd Nowakowski
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