: Wie man mit einer Naziposition für sich Moral reklamiert-betr.: "Adass Jisroel zieht vor Gericht" von Anita Kugler, taz vom 3.11.92
betr.: „Adass Jisroel zieht vor Gericht“ von Anita Kugler,
taz vom 3.11.92
Die Claims Conference hat auf religiöse und soziale Gemeindestätten der Israelitischen Synagogen- Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin, K.d.ö.R, Eigentumsansprüche angemeldet. Wie ihr Vertreter Karl Brozik zitiert wird, handle man nicht nur formaljuristisch, sondern auch moralisch völlig korrekt. Grundlage für diese „Moral“ ist die „Rechts“-Position von Reinhard Heydrich, der 1939 sämtliche jüdischen Gemeinden und Organisationen zwang, der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ anzugehören. Diese „Reichsvereinigung“ unterstand dem Reichssicherheitshauptamt und diente allein der Entrechtung, Enteignung und Gleichschaltung jüdischer Insitutionen und der Durchführung der „Endlösung der Judenfrage“.
Daß die Claims Conference diesen Judenrat, wie zu lesen war, als „jüdischen Dachverband“ bezeichnet und sich als dessen Rechtsnachfolger versteht, ist mehr als makaber und geschmacklos. Sie offenbart eine Geisteshaltung, der auch die Zementierung von Naziverfügungen recht ist, um Immobilien und Vermögenswerte des einst blühenden deutschen Judentums an sich zu ziehen. Kostproben des Umgangs mit diesem „herrenlosen“ Erbe hat die Claims Conference bzw. ihre Vorläuferorganisation bereits in den fünfziger Jahren gegeben, als Gemeindestätten der Adass Jisroel im Westen Berlins verhökert und damit zum Abriß freigegeben wurden. So fällt bei den jetzt beanspruchten fünf Adressen auf, daß es sich nur um Häuser in Citylage handelt, während der Gemeindefriedhof in Berlin-Weißensee offenbar nicht interessiert – verständlich, denn nach dem Skandal um den jüdischen Friedhof in Hamburg-Ottensen läßt sich ein Friedhof nicht mehr so gut verkaufen.
Die Anspruchsanmeldung durch die Claims Conference wird gestützt durch eine unheilige Allianz mit dem Berliner Senat, dem Pluralismus im jüdischen Leben ohnehin ein Dorn im Auge ist, und Vertretern der „Jüdischen Gemeinde zu Berlin“, die sich dem Vermächtnis von Heinz Galinski, den Alleinvertretungsanspruch der Gemeindeleitung für alle Berliner Juden mit allen Mitteln durchzusetzen, verpflichtet fühlen. Für diese Machtinteressen bedient man sich eben auch unlauterer Mittel wie Naziunrecht und Diffamierung der Adass Jisroel und ihrer ordentlich gewählten Vertreter. Was hier stattfindet, ist die Projektion der eigenen Absichten auf andere zur Vertuschung eigener Machenschaften. Sollte man einen Analogieschluß ziehen und sagen, daß Herr Jerzy Kanal Hunderte in Ostberlin gelegene frühere Grundstücke der „Jüdischen Gemeinde zu Berlin“ für sich reklamiert?
Die Rechtmäßigkeit des Rechtsstatus der Adass Jisroel beruht auf der ununterbrochenen Fortexistenz der Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts, der Aufhebung der Naziunrechtsverfügungen durch die Alliierten, der Bestätigung des DDR-Regierungsbeschlusses durch den Einigungsvertrag, der ordnungsgemäßen Verfaßtheit der Gemeinde, der Legitimierung ihres Vorstandes durch Gemeindewahlen und der personellen wie geistig-kulturellen Kontinuität und Identität. Wer die Nutzung der Gemeindestätten zu religiösen, kulturellen und sozialen Zwecken des Gemeindelebens der Adass Jisroel als „widerrechtlich“ bezeichnet, gleichzeitig aber nur den meistbietenden Verkauf derselben im Sinne hat, zudem die Anspruchsanmeldung auf Naziunrecht stützt, sollte das Wort „Moral“ nicht mehr in den Mund nehmen. Die Claims Conference und alle jüdischen Institutionen in Deutschland sollten statt dessen überlegen, ob der in Nachkriegsjahren bestehende Auftrag der Claims Conference zur Liquidierung jüdischen Lebens in Deutschland heute noch angemessen ist. Vorstand der Israelitischen
Synagogen-Gemeinde (Adass
Jisroel) zu Berlin, K.d.ö.R.
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