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Ein Fall für Spezialisten-betr.: "Vom Nachttisch geräumt" (Buchbesprechung von S. Kohlhammer. "Leben wir auf Kosten der Dritten Welt?"), taz vom 12.11.92

betr.: „Vom Nachttisch geräumt“ (Buchbesprechung von S.Kohlhammer, „Leben wir auf Kosten der Dritten Welt?“),

taz vom 12.11.92

Lieber Georg Hermann! Vielleicht ist es doch etwas vorschnell, gleich einen Mythos hinter der Auffassung zu vermuten, daß der „Norden“ auf Kosten des „Südens“ lebt, bloß weil man ein Buch gelesen hat, das „gängige Ideologien“ mit „alten Fakten“ konfrontiert. Ich jedenfalls würde mir wünschen, daß ein solches Buch von jemandem rezensiert wird, der beziehungsweise die Ahnung von Volkswirtschaft hat und die üblichen ökonomischen Theoreme kritisch überprüfen kann.

Zu dieser Sorte Spezialisten gehöre ich nicht, Sie aber möglicherweise auch nicht. Immerhin scheint es mir, daß einige der „alten Fakten“ genau unter die Lupe genommen werden müssen, so zum Beispiel der Begriff „Bruttosozialprodukt“, in dem das einzige Maß für Wertschöpfung der Dollar oder die DM ist. Mir scheint, daß Produkte aus der Dritten Welt deshalb so billig sind, weil menschliche Arbeit dort notorisch unterbezahlt wird. Wenn dagegen Preise für hierzulande hergestellte Industrieprodukte sinken, dann liegt das daran, daß durch technische Investitionen der Anteil an menschlicher Arbeit pro Stück drastisch gesenkt wird – so habe ich mir das jedenfalls bisher vorgestellt. Wenn an dieser Meinung etwas dran ist, dann können die „terms of trade“ doch nachteilig für die Dritte Welt sein.

Außerdem muß die Konsequenz aus der Ansicht, daß wir auf Kosten der Dritten Welt relativ luxuriös leben, ja keineswegs in einem diffusen Schuldgefühl und sonst nichts bestehen. Wir könnten ja auch zu dem Ergebnis kommen, daß wir statt Mokka und Schokolade lieber Fencheltee und Dörrpflaumen konsumieren sollten, damit in verschiedenen tropischen Ländern nicht mehr Kakao und Kaffeebohnen angebaut werden müssen, die ja kein Mensch einfach essen kann, die sich aber in Form von Dollars in der Handelsbilanz niederschlagen, sondern statt dessen etwa Hirse, Reis und Soja. Dann würde vielleicht das Bruttosozialprodukt des betreffenden Landes gegen null gehen (weil die so geschaffenen Werte zum größten Teil nie Geldform annehmen würden), aber die Bevölkerung hätte möglicherweise immerhin wesentlich mehr davon als jetzt von den hart erarbeiteten Exporteinnahmen. Die Machteliten der „Entwicklungsländer“ wären dann wohl zunehmend gezwungen, sich aktiv um das Anpflanzen von Bohnen zu kümmern.

Könnten Sie das Buch nicht vielleicht von einer Expertin oder einem Experten rezensieren lassen? Ich kann doch nicht innerhalb von drei Jahren mein ganzes Repertoire an gesellschaftskritischen Grundeinstellungen als „Mythen“ deklarieren lassen! W.Schumacher, Köln

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