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Das Strafrecht grundlegend entrümpeln

Niedersächsische Juristenkommission für die Legalisierung von Hasch und gegen die Bestrafung kleiner Ladendiebe/ Vorschläge sollen über den Bundesrat eingebracht werden  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Haschisch aus der Apotheke — rezeptfrei. Schwarzfahren und Ladendiebstahl bis zum Klauwert von 100 Mark nicht mehr strafbar. Delikte nicht mehr bestrafen, wenn der Täter beim Opfer den Schaden wiedergutmacht. Einen Abschlußbericht voller Forderungen, die dem Ruf nach härteren Strafen widersprechen, hat jetzt die „Niedersächsische Kommission zur Reform des Strafrechts“ vorgelegt, die die Landesjustizministerin Heidi Alm-Merk vor eineinhalb Jahren eingesetzt hatte.

Die hundert Druckseiten füllenden Reformvorschläge, die von der grundsätzlichen „Maßnahmen der Entkriminalisierung“ bis zur „Revision der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung“ reichen, sollen die Anwendung des Strafrechts grundsätzlich „auf schwerwiegende Verletzung von Rechtsgütern beschränken“ und zugleich „den Schutz des Bürgers vergrößern“. Schließlich seien alle Bürger zugleich „potentielle Opfer und auch potentielle Täter“, sagte gestern in Hannover der Schleswiger Generalstaatsanwalt Heribert Ostendorf, der zusammen mit sieben weiteren namhaften Juristinnen in 19 Sitzungen die Reformvorschläge erarbeitet hat.

Wo eine Bestrafung unangemessen ist, will die Kommission das Strafrecht schlicht „zurückschneiden“. Nicht mehr strafbar sollen etwa minimale Beleidigungen und Sachbeschädigungen sein, Mundraub und generell die „einfache Fahrlässigkeit“, also Schädigungen durch „schlichte Fehler, die jedem passieren können“, wie es Kommissionsmitglied Professor Gerald Grünwald gestern sagte. Beim Diebstahl aus Selbstbedienungsläden, wo zur Zeit für den ertappten Klauer von der Einstellung des Verfahrens über die Geldbuße bis hin zum Prozeß alles möglich ist, will die Kommission die verschwommene Rechtslage durch klare Verhältnisse ersetzt sehen: Wenn ein Ersttäter nur Waren bis zum Wert von 100 Mark entwendet hat, soll er künftig straflos bleiben und stattdessen an das Geschäft eine zusätzliche Entschädigung genau in Höhe des Kaufpreises zahlen. Auch Verkehrsunfallflucht, die noch Auffassung der Kommission oft ihre Ursache in einem „Unfallschock“ des Täters hat, könnte nach den Reformvorschlägen straffrei bleiben, wenn der Täter „tätige Reue“ zeigt, sich also der Polizei stellt und bereit ist, für den Schaden aufzukommen.

Bei der weichen Droge Haschisch hat sich die Kommission für die Parole „legalize it“ entschieden. „Der Erwerb und Besitz von Cannabis-Produkten wie Haschisch und Marihuana ist zu entkriminalisieren“, heißt es in ihrem Abschlußbericht. Vor allem um die Beschaffungskriminalität bei Fixern einzudämmen, plädierte ein Teil der Kommissionsmitglieder auch für die kontrollierte Abgabe harter Drogen.

Die niedersächsische Justizministerin Alm-Merk hat gestern angekündigt, die Vorschläge der Reformkommission nach und nach über Gesetzesentwürfe abzuarbeiten, die sie als niedersächsische Initiativen im Bundesrat einbringen will. Chancen dafür, daß die Vorschläge am Ende auch im Bundestag eine Mehrheit finden könnten, sieht die Justizministerin bei den Änderungen des Verkehrsrechtes und beim Ladendiebstahl. Eine Mehrheit und Einsichtfähigkeit sei immer dort gegeben, wenn man auch das Argument der knappen Kassen auf der eigenen Seite hat. Schließlich sei die Justiz seit der deutschen Einigung auch völlig mit Strafverfahren überlastet.

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