: Unter dem Slogan „Zurück zur Demokratie“ veranstaltet Perus Präsident Fujimori morgen Wahlen. Nach Meinung der Opposition ein schlichter Volksbetrug. Aus Lima Ralf Leonhard
Ein Diktator läßt wählen
Kriegsschauplatz Lima: Bereits auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel wird das Taxi dreimal von Polizeistreifen aufgehalten. Privatfahrzeuge dürfen seit einem halben Jahr nachts nur mehr mit Ausnahmegenehmigung unterwegs sein. Während in den Abendnachrichten über die jüngsten Sprengstoffanschläge berichtet wird, läßt eine neue Detonation die Scheiben klirren. Keine zehn Blocks vom Hotel entfernt ist gerade eine Autobombe hochgegangen. Entsetzte Schreie, Sirenengeheul. Während die Feuerwehr verhindert, daß die Flammen vom Autowrack auf das halb zerstörte Gebäude überspringen, wird ein Toter abtransportiert. Sanitäter verarzten ein paar durch Splitter verletzte Passanten. Wie viele Menschen durch Glassplitter in den umliegenen Wohnblocks verletzt wurden, ist unklar. Vorsichtige Familien haben längst ihre Scheiben mit Klebstreifen versehen, damit die nächste Druckwelle das Glas nicht in die Wohnung schleudert.
Der Anschlag ist – vermutlich – Teil der von der maoistischen Guerilla Sendero Luminoso am Sonntag ausgerufenen Strategie der „bewaffneten Streiks“. Autofahrer und Transportunternehmer müssen seitdem damit rechnen, daß ihre Fahrzeuge abgefackelt werden, wenn sie das Fahrverbot mißachten. Der erste „paro armado“ nach der Verhaftung und Aburteilung des Sendero-Chefs Abimael Guzman wird zu einer Kraftprobe. Wieviel Macht hat die Guerilla noch, nachdem ihre wichtigsten Leute verhaftet und ein Teil ihrer Logistik zerschlagen wurde? Zwar hält sich außerhalb der Elendsviertel an der Peripherie von Lima, dort wo Sendero vor allem verankert ist, kaum jemand an den Verkehrsboykott, doch glauben die wenigsten, daß die Maoisten bereits zum strategischen Rückzug geblasen haben. Eine Serie von Sprengstoffanschlägen gegen Polizeistationen, Banken und andere Einrichtungen des Kapitals, Attentate gegen Militärs und Vertreter der Volksorganisationen füllen allabendlich die Hälfte der Nachrichtensendungen. Etwas über Militäraktionen im Landesinneren erfährt man in Lima dagegen nur sporadisch.
Manche Experten bezweifeln allerdings, daß wirklich alle Attentate auf das Konto des Leuchtenden Pfades gehen. Denn am Vorabend der Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung braucht Präsident Fujimori das Schreckgespenst des Terrorismus, um seine polizeistaatlichen Reformen zu rechtfertigen. Ein pensionierter Offizier und Geheimdienstexperte ist überzeugt, daß die CIA und Fujimoris zwielichtiger Berater Vladimiro Montesinos hinter vielen Anschlägen stecken. Sendero, der normalerweise jede geglückte Aktion sofort mit einem Kommunique feiert, hat sich in den letzten Tagen kaum geäußert.
Der nächste Putsch kommt bestimmt
Montesinos, der einst als Verteidiger von Drogenbaronen zu Geld kam, ist Fujimoris wichtigster Berater in Sicherheitsfragen. Den Militärs ist er ein Dorn im Auge, weil er unter Umgehung der militärischen Hierarchie über Beförderungen und Versetzungen in der Armee entscheidet. Ein letzte Woche gescheiterter Putschversuch hatte gleichzeitig die Festnahme des Staatschefs und seines Beraters zum Ziel. Die Verschwörer hatten einen Moment abgewartet, in dem sie beide Männer ohne Blutvergießen kaltstellen konnten. Fujimori sollte wegen Verletzung der Verfassung und Montesinos wegen Drogenverbrechen unter Anklage gestellt werden. Gegen letzteren soll die US-Drogenbehörde DEA ein umfangreiches Dossier zusammengestellt haben. Auch die Generäle Nicolas de Bari Hermoza und Jose Valdivia, als Armeechef und Generalstabschef Fujimoris wichtigste Verbündete in den Streitkräften, sollten abgesetzt werden.
Die Verschwörung flog auf, weil ein Busenfreund Hermozas, General Pizarro, unvorsichtigerweise eingeweiht wurde. Pizarro, der als Militärchef von Lima die wichtigste Infanterieeinheit unter sich hat, sollte nach dem Plan der Putschisten eigentlich vorübergehend zum Staatschef gekürt werden. er zog es dann jedoch vor, vorübergehend abzutauchen während sein Freund Hermoza die Putschisten verhaftete. Wie ernst die Lage dennoch war, kann man einem abgefangenen Telefongespräch zwischen Fujimori und Montesinos entnehmen, das in Caretas, einer Zeitschrift mit bekannt guten Quellen, veröffentlicht wurde. Danach war der Staatschef in der fraglichen Nacht bereits unterwegs zur Residenz des japanischen Botschafters, um Unterschlupf zu suchen.
Doch Fujimori kann sich der Loyalität der Armee nach wie vor nicht sicher sein. Viele der fortschrittlicheren Offiziere wollen sein autoritäres Projekt nicht unterstützen. Der niedrige Sold sorgt darüber hinaus schon lange für Unmut. Insider sind fest davon überzeugt, daß der nächste Putschversuch bald fällig ist.
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