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Sie sind Jude, na und?

Ein Gespräch mit Frank London, dem schönsten Trompeter der Klezmatics, über Ghetto-Romantik und moderne Religiösität  ■ Von Mariam Niroumand

taz: Zur Zeit kann man in Deutschland und den USA eine Welle der Nostalgie für das osteuropäische Schtetl beobachten. Sind Sie die Enkel der Klezmorim aus Jiddischland?

Frank London: Wir sind in vielerlei Hinsicht mit ihnen verwandt. Wir machen auch Musik für den rituellen Teil des jüdischen Lebens, das heißt, wir sind eine Hochzeitskapelle. Erfreulicherweise spielen wir nicht nur für religiöse Juden, sondern auch für Leute wie uns selbst, die nicht so genau wissen, ob sie säkular oder gläubig sind, die in Mischehen leben.

Die andere Verbindung ist: Wir spielen nicht einfach irgendein jiddisches Lied. Wir wollen nicht singen: „Lalala, wie schön ist es im Ghetto.“ Womöglich war es damals in Rumänien gar nicht so romantisch. Wir singen lieber wirklich religiöse, chassidische Lieder von der Ankunft des Messiah, die uns etwas bedeuten. Dieser Tradition sind wir näher als der des jiddischen Theaters, des Vaudeville, die für andere Klezmergruppen wichtig ist.

Sind Sie religiös?

Unter den sechs Bandmitgliedern gibt es ein breites Spektrum von Religiösität. Keiner ist strikt orthodox, aber Religion ist für jeden von uns in irgendeiner Weise wichtig, und wird es zusehends mehr. Einer von uns ist kein Jude, zwei sind schwul, das ist für die Religion ein Problem, obwohl gerade diese beiden besonders spirituell und religiös sind. Daß Alicia, die Geigerin, auch singt, ist vom strikt orthodoxen Standpunkt aus inakzeptabel; Frauenstimmen passen da nicht zu religiösen Liedern. Aber Religion ist aus unserem Lebensalltag nicht mehr wegzudenken.

Wie würden Sie den New Yorker Kontext beschreiben, in dem Ihre Kapelle arbeitet?

Das beste an den Klezmatics ist eben, daß wir sechs Leute sind, die sich in ganz verschiedenen Szenen bewegen. Alicia macht viel griechische Musik; Lorin singt auch jiddische Arbeiter- und Kinderlieder, David Krakau spielt klassische moderne Musik, David Licht, der als Teenie Heavy Metal getrommelt hat, spielt noch immer mit Rockbands, und ich bin wahrscheinlich der Umtriebigste von uns, denn ich spiele Jazz, afrikanische Musik, Improvisation; letzten Monat habe ich Platten mit John Zorn aufgenommen und einiges Hardcore-Zeugs für Danny Aillos neuen Film eingespielt.

Wir spielen in der „Knitting Factory“ in New York, einem Downtown-Szene-Schuppen auf der East Houston Street, in den viele Klezmer-Bands gar nicht gehen, weil sie zu sehr „Mainstream“ sind.

Reagiert das Publikum in Israel anders als das in den USA oder in Deutschland?

Wir waren neulich das erste Mal in Israel. In Israel mögen sie einen nicht schon einfach deshalb, weil man Jude ist. You're Jewish? So what! Wenn du in Deutschland spielst, mußt du bloß irgendwo ein Plakat anpappen: Heute abend gibt es hier jüdische Musik – schwupps – kommen alle angerannt. Das gilt auch für Amerika. Man geht zu irgendeinem jüdischen Gemeindezentrum; sofort hat man ein Publikum. Die fragen nicht lange nach Qualität.

In Israel fragen sie auch nicht unbedingt nach Qualität, aber sie waren ein schwieriges Publikum. Sie wollten, wie jedes mittelständische Publikum, daß wir die ollen jiddischen Kamellen spielen, Sachen zum Mitschunkeln...

Jiddl mitn fidl...

Genau. Als wir dann unser drittes Konzert gaben, da kannten einige schon die Lieder, die wir spielen, und verlangten, ey, spielt doch noch mal das mit dem Honigmund... Wir müssen uns da ein Publikum aufbauen. Wir mußten uns auch eine eigene Identität aufbauen, klarmachen, daß wir nicht einfach irgendeine Klezmer-Band sind. Das hat etwas mit Pädagogik zu tun. Aber Alicia haben sie trotzdem einen Preis gegeben, also irgendetwas müssen wir richtig gemacht haben.

Jedenfalls gibt es viele Orte, wo es absolut eine Rolle spielt, daß wir Juden sind. Zum Beispiel in Budapest, oder in Italien. Die jüdische Gemeinde dort ist einfach zu glücklich, dich zu sehen, denen ist völlig schnurz, was genau man macht.

Dann wieder waren wir in düsteren ostdeutschen Städten, in Leipzig, Dresden oder Cottbus, wo wir in Jugendheimen vor einem Skinhead-Publikum gespielt haben. Die haben überhaupt keine Vorstellung davon, was ein Jude ist; in diesen Städten gibt es vielleicht vier oder fünf.

Wir spielen auf eine Art, die ist konfrontativ, direkt, boom! – und das war gut.

Wenn wir hier im Westen spielen, kommt immer unvermeidlich der Holocaust ins Spiel. Ein Journalist hat uns neulich bestimmt dreimal mit großen Augen gefragt, ob es nicht eigenartig oder beklemmend für uns sei, in Deutschland zu spielen. Wir haben dreimal „Nein“ gesagt, aber der ließ sich da überhaupt nicht von abbringen (lacht).

Spielt die Tradition des jiddischen Sozialismus für Sie genauso eine Rolle wie die chassidischen religiösen Lieder?

Oh ja, gerade haben wir ein schönes ausgegraben (singt lauthals): „Wocht oif, wocht oif“, wie lange sollen wir Sklaven sein und unter der Knute ächzen, werft eure Ketten ab und kämpft!

Das ist genau das, worüber wir singen wollen. Natürlich ist der Marschrhythmus ein Problem, da werden wir wohl einen kleinen Funk-Rhythmus drunterlegen müssen...

Sind für Leute Ihrer Generation Leute wie Woody Allen oder Philip Roth noch immer Orientierungspunkte? Ich habe den Eindruck, daß die Wiederentdeckung des jiddischen Sozialismus auch so ein bißchen ein Versuch ist, vom öffentlichen Image des schwachen, vergeistigten Diaspora-Intellektuellen wegzukommen.

Das ist kompliziert. Aber es stimmt, Woody Allen ist für uns keine Ikone mehr. Aber wer ist es dann? Es ist schwer, über den Tellerrand der jetzigen Situation zu gucken, weil ja jetzt gerade alle diese Dinge passieren, da hat man noch nicht unbedingt Bilder parat. Aber vielleicht ... sind wir ja die neuen Ikonen, die Klezmatics!

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