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Kreative Projekte gegen Gewalt

Mete-Eksi-Preis für Engagement von Theatergruppen und Schulprojekten/ „Kuliss“ aus Wedding, „DeuJuKuArTü“ aus Neukölln und Freiligrath-Oberschule in Kreuzberg  ■ Von Olivera Stevanovic

In der einen Ecke des Raumes knien mehrere Frauen und singen eine Passage des Korans. Auf der anderen Seite übertönt eine Gruppe von männlichen Skinheads mit lautem Klatschen und Fußgestampfe den Gesang der Frauen. Deutsche und türkische Jugendliche wagen sich auf der Bühne an Themen wie Rechtsradikalismus in Deutschland und türkische Familienrealität heran. Ganz normale Jugendliche, nur mit dem Unterschied, daß viele von ihnen zum Teil ihre eigene Situation spielen. AusländerInnen, die hier geboren und aufgewachsen sind, aber trotzdem zwischen zwei Welten leben.

Die zweite Generation von türkischen Gastarbeitern muß gleich mehreren Anforderungen gerecht werden. Dafür steht eine andere Szene. In ihr wird „Kerim“ von seinem Gewissen geplagt. Die Stimme seines Vaters fordert ihn auf, zur Moschee zu gehen, die der Mutter, ihr zu helfen, und die der Lehrerin ermahnt ihn wegen seiner schlechten Leistungen. Das Stück „In meiner Hand – ein Hauch“ wurde von dem türkischen Schauspieler und Regisseur Yekta Arman geschrieben, der 1985 die Gruppe „Kuliss“ gründete.

Die Gruppe „Kuliss“ in Wedding ist eine der drei Theatergruppen, die vor einer Woche mit dem Mete-Eksi-Preis ausgezeichnet worden sind. Der Mete-Eksi- Fonds, der sich im Gedenken an die Ermordung von Mete Eksi durch Rechtsradikale gründete, würdigte noch zwei weitere Theatergruppen. Die Theatergruppe „DeuJuKuArTü“ aus Neukölln und die Theatergruppe Berliner Gymnasiasten aus Berlin-Mitte für ihre Aufführung „Iphigenie – eine GANGgeschichte“. Zwei Schulprojekte, die Asylheimbetreuungsgruppe des Fichtenberg-Gymnasiums in Steglitz sowie die Freiligrath-Hauptschule in Kreuzberg für ihr Projekt „Kids-Kreativität in die Schule“, erhielten Anerkennungsurkunden.

„DeuJuKuArTü“ ist eine Abkürzung für: Deutsche, Jugoslawen, Kurden, Armenier und Türken. Man könnte meinen, eine multinationale Theatergruppe sei bereits als Herausforderung groß genug. Der etwa 30jährige türkische Sozialarbeiter und Regisseur Ilhan Emirli ist mit seiner Gruppe aber noch einen Schritt weiter gegangen. Die Mitglieder der Gruppe haben Kontakte zur Jugendhaftanstalt Kieferngrund. Die Nationalität der straffällig gewordenen Jugendlichen steht dabei nicht so im Vordergrund, vielmehr soll die Isolation der inhaftierten Jugendlichen durchbrochen werden. Die Anstaltsverwaltung in Kieferngrund genehmigt die Ausflüge zu den Proben in das Jugendzentrum Wutzkyalle in Neukölln. So kommt es, daß plötzlich am Tisch großer Jubel ausbricht, als ein Jugendlicher der bunt zusammengewürfelten Gruppe mitteilt, daß er freigesprochen ist.

Die Atmosphäre ist herzlich. Man kennt sich und die Schwierigkeiten, die jeder hat. Viele gehen noch zur Schule oder studieren. Zwei Mitglieder der Gruppe äußern den Wunsch, selbst einmal „richtige“ Schauspieler zu werden. „DeuJuKuArTü“ entwickeln ihr Musical während der Proben. Geschichten, aus dem Leben gegriffen, fließen mit ein. So werden komplizierte Lebensverhälnisse, Gefängnisalltag und Gewalt spielerisch verarbeitet. Mit vielen Schwierigkeiten „am Rande“ müssen Ilhan Emirli und seine Lebensgefährtin fertig werden. Oftmals übernachten die Jugendlichen, die in ihrem Elternhaus keine Unterstützung finden können, bei ihnen. Emirli möchte, obwohl die Finanzierung nicht gesichert ist, mit dem Projekt weitermachen.

Die Freiligrath-Hauptschule in Kreuzberg, mit über 80 Prozent Ausländeranteil, ist ein Ort, an dem sich gesellschaftliche Probleme ballen. Hildburg Kagerer, Lehrerin, Kinder- und Jugendtherapeutin, wollte nicht die Augen vor dieser Realität verschließen. Sie wollte ihre Schule verändern und hat es geschafft. „Entscheidend war der Besuch bei einem türkischen Künstler. Ich erlebte die türkischen Jugendlichen ganz anders als sonst. Ich hatte das Gefühl, hier müssen Menschen rein, die mit den Jugendlichen ein ,Wir‘ teilen. Das ,Wir‘ der Herkunft, der Religion und der Sprache.“ Der erste türkische Künstler, der kam, stellte in der Theaterarbeit mit den Jugendlichen fest, daß sie weder richtig Türkisch noch Deutsch sprechen können. Ihnen fehlt die Muttersprache. „Wir sprechen Türkisch, ich lerne das erst Mal richtig Türkisch. Zum ersten Mal traue ich mich, auch richtig Deutsch zu reden“, so die Reaktion eines Schülers auf die Theaterarbeit. Viele Lehrer, so erzählt Hildburg Kagerer, mußten erst begreifen, daß die Beherrschung der Muttersprache für viele SchülerInnen von existentieller Notwendigkeit ist. Nur so sind viele erst fähig, die deutsche Sprache zu erlernen.

Nach und nach kamen dann bildende Künstler, Theatermacher, Akrobaten, Breakdancer und Musiker an die Schule. So konnten Kunst und Kreativität in die Wahlpflichtkurse der Schule mit einem doppelten Effekt integriert werden: Die Lehrer erleben sich selbst als Teilnehmende dieser Kurse auch einmal wieder aus Schülerperspektive. Aber auch bei diesem Projekt ist die Finanzierung nur für einen bestimmten Zeitraum gesichert. Der Senat müßte sich 1994 bereit erklären, die Finanzierung von der Robert-Bosch-Stiftung zu übernehmen.

Das Stück „In meiner Hand – ein Hauch“ der Weddinger Theatergruppe „Kuliss“ wird am 15.12. im Ernst-Reuter-Heim, Triffstraße 67, uraufgeführt. Eintritt 4,50 Mark.

„Iphigenie – eine GANGgeschichte“ ist heute und morgen im Jugendclub Extraweit, Brodowiner Ring 26, in Marzahn zu sehen. Einlaß um 18 Uhr, Eintritt frei.

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