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Die Gallier scharen sich um den Hahn

Frankreichs Premierminister kräht lautstark gegen Gatt-Agrarkompromiß, um einen Bauernaufstand zu verhindern und seine Regierung zu retten/ Vertrauensfrage im Parlament  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Bauernaufstand mit brennenden Reifen und toten Hühnern auf Frankreichs Straßen – oder aber eine Krise der Europäischen Gemeinschaft: in diese Zwickmühle hat der Agrarkompromiß zwischen der EG und den USA die französische Regierung gebracht. Da die Landwirte schon mit zahlreichen Protestaktionen und der vorübergehenden Besetzung einer Coca-Cola-Fabrik im Süden von Paris begonnen haben, gibt der angeschlagene Premierminister Bérégovoy dem Frieden im Land den Vorrang. Bei seinen starken Worten gegen das Abkommen, das zwei EG-Kommissare in Washington ausgehandelt haben, könnte man glatt vergessen, daß er vor gut zwei Monaten noch händeringend für den europäischen Einigungsvertrag geworben hatte. „Inakzeptabel“, sagt der Regierungschef und droht sogar „zu allerletzt“ ein französisches Veto an.

Heute nun will der Regierungschef vor der Nationalversammlung seine Ablehnung des Agrarkompromisses begründen. Zugleich wird er die Vertrauensfrage stellen, um auch die Opposition hinter sich zu scharen. Ganz Frankreich müsse eine gemeinsame Haltung einnehmen, „nicht nur die Regierung oder eine Mehrheit“ der Abgeordneten, sagte er. Zuletzt hatte sein Vorvorgänger Rocard im Januar 1991 die Vertrauensfrage gestellt – damals ging es immerhin um die französische Beteiligung am Golfkrieg.

Bérégovoy spricht von einer „Zeit der Prüfung“, in der die Parteipolitik überwunden werden müsse. Angesichts des miserablen Zustands der Regierung, die von einem Skandal nach dem anderen gebeutelt wird, dürfte er dabei auch an die im März anstehenden Parlamentswahlen denken. Da die Opposition die Verteidigung der Bauernschaft ebenfalls zu ihrer Sache erklärt hat, wird sie dem politischen Gegner heute wohl zähneknirschend ihre Unterstützung aussprechen müssen. Die Bauernverbände wollen während der Debatte vor dem Palais Bourbon demonstrieren.

Ziel der Regierung ist es, den Bauern Unterstützung zu signalisieren, eine Krise der EG jedoch zu verhindern. Dazu spielt sie vor allem auf Zeit: anstelle einer baldigen Abstimmung über den Agrarkompromiß bevorzugt Bérégovoy eine späteres Votum des EG-Ministerrats über die gesamten Verhandlungen im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (Gatt) zur Liberalisierung des Welthandels; damit wären dann auch die Bereiche Banken und Versicherungen eingeschlossen, von deren Liberalisierung sich Frankreich große Vorteile erhofft. Da im ersten Fall eine Mehrheitsentscheidung ausreicht, könnte Frankreich den Kompromiß nur durch sein Veto zu Fall bringen. Ein solches Veto ist möglich, falls ein EG-Land seine „lebenswichtigen Interessen“ bedroht sieht. In den französischen Medien wird diese Waffe jedoch als „Atombombe“ der EG- Politik bezeichnet, mit der man allenfalls droht.

Bei einer Abstimmung über das Gesamtpaket entgeht Frankreich diesem Dilemma. Da in diesem Fall die Einstimmigkeit der EG- Staaten erforderlich ist, könnte Paris das Abkommen durch ein Nein blockieren. Außerdem würde ein solches Votum erst nach den Parlamentswahlen anstehen, die Verantwortung dafür wäre also Sache der neuen Regierung. Durch den massiven Druck auf die EG will Bérégovoy zudem europäische Kompensationsleistungen für die französischen Bauern erzwingen.

Für die Bauern geht es eindeutig ums Überleben. Heute gibt es noch 1,3 Millionen Landwirte in Frankreich, das sind knapp fünf Prozent der Erwerbsbevölkerung. Die Reform der EG-Agrarpolitik mit Preissenkungen und Flächenstillegungen wird dazu führen, daß jeder zweite französische Bauer seinen Beruf aufgeben muß. Viele Landwirte protestieren auch dagegen, daß die Brüsseler Ausgleichszahlungen sie zu Hilfsempfängern degradieren. Ohne die europäischen Subventionen könnten jedoch allenfalls 300.000 Bauern existieren – diese Tatsache wird von Frankreichs Politikern gerne vertuscht. Während sie das Zusammenschrumpfen von Werft- oder Stahlarbeitern geschehen ließen, erklären alle Politiker die Verteidigung der Bauern zum nationalen Anliegen.

Der Grund dafür: La France profonde, das „wahre“ Frankreich, sieht sich immer noch als Agrarland. Weil sich ihre Familien sowie die Händler der ländlichen Gemeinden mit ihnen solidarisieren, ist der politische Einfluß der Bauern weitaus größer als ihre wirkliche Zahl. Hinzu kommt, daß die Aufteilung des Landes in über 36.000 Gemeinden mit eigenen Bürgermeistern den kleinen Landkommunen ein überproportional großes Gewicht verleiht. Der Senat wiederum, die zweite Kammer des Parlaments, wird allein von Mandatsträgern (Bürgermeistern, Regionalratspräsidenten, Departementsabgeordneten) gewählt und ist aufgrund seiner Zusammensetzung schon fast offizieller Vertreter des ländlichen Frankreichs.

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