: Unmut über EG-Finanzpläne
■ Die 96 Milliarden Mark teure Wachstumsinitiative stößt vor allem beim Beitragszahler Deutschland genauso auf Kritik wie Delors' zukünftiges EG-Budget
Berlin/Brüssel (taz/AFP) – Nach den Währungsturbulenzen und dem Gatt-Handelsstreit mit den USA droht der Europäischen Gemeinschaft nun auch noch eine handfeste und hausgemachte interne Krise. Streitpunkte sind die zukünftige EG-Finanzierung und eine von Kommissionspräsident Jaques Delors vorgeschlagene „Wachstumsinitiative“, mit der die EG-weit rezessionsbedrohten Volkswirtschaften wieder angekurbelt werden sollen. Dabei lassen sich die Positionen auf einen groben Nenner bringen: Die EG- Kommission, von Frankreich und ärmeren Mitgliedsstaaten unterstützt, will mehr Geld, Deutschland nicht zahlen und Großbritannien seine Beitragsrabatte behalten.
Delors hatte schon vor längerer Zeit gefordert, daß die der EG zur Verfügung stehenden Finanzmittel erheblich erhöht werden müßten. Seitdem den Volkswirtschaften der Gemeinschaft aber nun der Abschwung ins Haus steht, sträubt sich vor allem Deutschland gegen den sogenannten Delors-II-Plan, der am Montag auf dem Treffen der EG-Finanzminister in Brüssel in einer überarbeiteten Fassung vorgelegt wurde. Demnach soll der EG-Haushalt von derzeit 64 Milliarden Ecu in diesem Jahr auf rund 82 Milliarden Ecu (164 Milliarden Mark) bis 1999 steigen. Der EG- Gipfel am 11. und 12. Dezember in Edinburgh, auf dem die Mitgliedsländer über das zukünftige EG- Budget abstimmen müssen, droht allerdings an diesem Finanzplan zu scheitern.
Deutschland hat klargemacht, daß es selbst die am Montag vorgelegte Fassung, in der die ursprünglichen Pläne bereits modifiziert wurden, nicht mittragen will. Horst Köhler, zuständiger Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, meinte, eine solch deutliche Botschaft sei nötig, „um keine Illusionen am Leben zu erhalten. In einer Situation, wo wir unseren Leuten Einkommensverzicht zumuten müssen, können wir nicht gleichzeitig massive, zusätzliche Einkommensübertragungen auf die EG schultern.“ Das Europa der Zukunft könne aus deutscher Sicht kein „Europa der Umverteilung“ sein. Gemeint war damit vor allem der sogenannte „Kohäsionsfonds“, aus dem die ärmsten EG- Länder unterstützt werden und in den nach Meinung der Deutschen noch immer zu viel Geld fließt. Zumindest möchte die Bonner Regierung bei der Förderung unterentwickelter Regionen eine Gleichstellung der neuen Bundesländer mit den ärmeren Regionen Europas erreichen. Außerdem pocht Deutschland darauf, daß die Obergrenze des EG-Budgets auch in Zukunft bei 1,2 Prozent des EG- Bruttosozialproduktes bleibt, statt, wie es Delors fordert, auf 1,32 Prozent erhöht zu werden.
Die Finanzminister der Europäischen Gemeinschaft berieten in Brüssel außerdem über eine „Wachstumsinitiative“, der zufolge umgerechnet rund 96 Milliarden Mark in Infrastrukturprojekte investiert werden sollen. Mit dem Ausbau des Schienen- und Straßennetzes sollen die rezessionsgeplagten europäischen Volkswirtschaften angekurbelt werden. Auch dieser Vorschlag wird den Regierungschefs in Edinburgh zur Abstimmung vorgelegt werden. Die Kritik an der von Delors entworfenen „Wachstumsinitiative“ kam allerdings postwendend – ebenfalls von der deutschen Delegation. Während inoffiziell die verdeckte Neuauflage von Delors' Plänen unter dem gut klingenden Titel einer Konjunkturspritze bemängelt wird, sagte Köhler auf einer Pressekonferenz, angesichts der Haushaltsdefizite der europäischen Regierungen sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für Infrastrukturprojekte, die von der öffentlichen Hand finanziert würden.
Neuer Streit entstand in Brüssel auch um den britischen Beitragsrabatt. Die frühere britische Ministerpräsidentin Margaret Thatcher hatte Mitte der achtziger Jahre ihren Partnern abgerungen, daß den Briten ein Drittel ihrer Nettozahlungen an den EG-Haushalt rückerstattet wird. Dieser Rabatt sei „sakrosankt“, betonte der britische Finanzminister Norman Lamont. Ein Anrühren des britischen Rabatts würde zu einem Scheitern des Edinburgher Gipfels führen, warnte Lamont. Dem traten vor allem Deutschland und Frankreich entgegen. In ihren Augen ist ein solcher Rabatt nicht mehr zeitgemäß. In Edinburgh, hieß es, sollte zumindest der „Einstieg in den Abbau“ erfolgen. KV
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