: Ostmännchen haben mehr Charme
Es ist an der Zeit, den armen Menschen, die durch Geburt oder andere Ungeschicklichkeiten das Pech hatten, in der ehemaligen DDR leben zu müssen, ein deutliches Signal zu geben. Wir sind ja so anspruchsvoll nicht, und die Westler sollten endlich begreifen, daß es doch nur um ein Zeichen geht, mit dem wir wenigstens das Gefühl erhalten können, etwas aus unserer Vergangenheit in die Gegenwart hinüberretten zu können. Da die Okkupation weitgehend abgeschlossen ist, verbleiben wirklich nur noch einige wenige Symbole, zum Beispiel das grüne Männchen, das bei Wind und Wetter in Tausenden Ampeln im Osten Deutschlands unermüdlich – wenn auch stets viel zu kurz – aufleuchtet.
Geben Sie zu, Sie hatten einen kurzen Augenblick eher an den grünen Pfeil gedacht? Nein, ich bin mehr fürs Helle, Freundliche und wollte hier eigentlich nicht auf dem Blech trampeln. Aber dennoch: Wußten Sie, daß der Buchautor Hardy Worm in seinem letzten Buch vor seiner Flucht aus Deutschland 1933 „Der grüne Pfeil“ auf diesen recht ausführlich einging? Ich zitiere aus dem Nachwort: „jene... Verbrecherorganisation... die bei all ihren Untaten ein Zeichen hinterläßt: Einen grünen Pfeil...“ Dieser Satz geht unter die Haut. Es ist eine alte Weisheit, daß sich die Geschichte alle 60 Jahre wiederholt, nur Karl Marx wollte das nicht wahrhaben, und der ist heute tot.
Vor ein paar Wochen argumentierte eine Journalistin in der Berliner Zeitung heftig für die Einführung des grünen Pfeils in ganz Deutschland, weil er „sich bei 16 Millionen Bürgern zehn Jahre lang bewährt hat.“ Annette Ramelsberger meinte offensichtlich damit, daß sich 16 Millionen Deutsche kaum irren können. Das irritierte mich schon etwas. Andererseits erzählt man uns ja ständig, daß wir auf dem Irrwege waren. Aber lassen wir das und kommen zurück zum Positiven: dem grünen Männchen.
Auch die Westler haben ja ein solches, doch ist es kaum vergleichbar mit dem unsrigen. Dem eckigen, steifen und ein wenig soldatisch daherstürmenden Mann in den Ampeln des Westens; fehlt nur noch der schwarze Ingenieurkoffer und man könnte meinen, er sei der stets gestreßte Gasmann oder ein sogenannter Dienstreisender in irgendwelchen dubiosen Angelegenheiten oder gar ein Politiker, ständig zwischen Bonn und Berlin hin und her hastend. Diese Figur kann einem Angst machen. Wir sollten auch nicht vernachlässigen, daß er selbst an diesigen Novembertagen und auch nachts an uneinsichtigen Ecken daherleuchtet.
Unser grünes Männchen ist von der Gestalt her deutlich gedrungener und dadurch nicht so barbiehaft langbeinig. Etwas fülliger aber keineswegs behäbig, hastet er nicht über die Fahrbahn, er schreitet. Die geballte Faust könnte durchaus als Ausdruck seiner Durchsetzungsfähigkeit auch gegenüber den Grünpfeilabbiegern gedeutet werden. Mag er auch einen etwas schlichten Gesichtsausdruck haben, er hat wenigstens einen. Bekanntlich sind die Westmännchen am Kopf vorne abgeplattet. Jeder Mensch, der am Straßenverkehr mit etwas Gefühl teilnimmt, wird mit mir übereinstimmen: Unsere Ostmännchen haben einfach mehr Charme! [...] Emmilie Mielke, 1060 Berlin
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