: Kiez- und Kulturprojekte gefährdet
■ Mehr als 500 freie Projekte im Ostteil Berlins stehen wegen des Auslaufens von ABM-Stellen und Ressortdifferenzen auf der Kippe
Schöneberg. Das Kulturhappening vor dem Rathaus Schöneberg wäre gestern völig unbeachtet geblieben, wenn nicht eine Hundertschaft von Polizisten mannhaft versucht hätten, den Abgeordneten den Anblick von Efeupflänzchen und Affenbäumchen zu ersparen. Etwa 50 Mitarbeiter von Ostberliner Kultur- und Sozialinitiativen hatten sich mit Grünpflanzen, Transparenten und Trillerpfeifen auf dem Platz versammelt, um just vor der letzten Plenartagung vor Verabschiedung des Landeshaushalts auf die akute Gefährung ihrer Projekte hinzuweisen. „Laßt die Kulturpflänzchen dieser Stadt nicht sterben“, hieß es. Die kleine Performance wurde nach einer halbstündigen Diskussion von der Übermacht Polizisten erfolgreich an den Straßenrand abgedrängt.
Dabei ist der Anlaß der Aktion ernst. Im Ostteil der Stadt stehen über 500 Projekte und Initiativen im soziokulturellen Bereich vor dem Aus, weil die Mittel fehlen und die ABM-Maßnahmen auslaufen. Die Initiativen, die sich im September zu einem „Interessen- Verband Kultur“ (IVK) zusammengeschlossen haben, haben mit zwei Problemen zu kämpfen. Zum einen ist ungeklärt, welche Senatsverwaltungen für sie zuständig sind. Fallen zum Beispiel Musikkurse für körperbehinderte Kinder am Prenzlauer Berg unter das Ressort Gesundheit, Jugend, Arbeit oder Kultur? Jede Behörde habe in der Vergangenheit versucht, sagt IVK-Geschäftsführer Rainer Blankenburg, die Zuständigkeit abzuschieben. Seine Forderung lautet daher: eine ressortübergreifende Finanzierung, ein eigener Haushaltstitel „Soziokultur“. Denn die Initiativen füllen das Vakuum, das im Ostteil durch den Abbau von betrieblichen und kommunalen Einrichtungen entstand. Der Senat solle daher einen „Feuerwehrtopf“ mit fünf Millionen Mark einrichten, damit all die diversen Kiez- und Alltagskulturprojekte weiterlaufen können. Die zweite Forderung an den Senat ist die Neuregelung der arbeitsmarktpolitischen Rahmenprogramme. Denn all diese kurz nach der Wende und mit viel Engagement initiierten Projekte seien nur möglich gewesen, sagt Blankenburg, weil die Mitarbeiter und Initiatoren ABM-Stellen innehatten. Jetzt aber laufen diese Maßnahmen aus. Die ersten schon Ende des Jahres, der große Rest im Laufe des Jahres 1993. Insgesamt werden kurz- oder mittelfristig über 5.000 Menschen ihre Arbeitsplätze im Kultur- und Sozialbereich verlieren. Ein kleiner Teil dieser Projekte könne zwar durch die Vergabe von neuen ABM-Stellen weitergeführt werden. Diese Stellen aber – und das mache die Sache so schwierig – dürften nicht von denselben Menschen, die in den vergangenen zwei Jahren die Arbeit geleistet haben, besetzt werden. Die mit viel Mühe initiierten Projekte könnten sterben, so die Befürchtung der freien Gruppen, weil die jetzt eventuell neu vergebenen ABM-Verträge nur dazu dienen sollen, die Arbeitslosenstatistik zu beschönigen. aku
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