„Gegenöffentlichkeit“?

■ Die Anhänger der „Aidslüge“ bekamen für einen Film staatliche Fördermittel

Es mag wie ein Schildbürgerstreich wirken, doch es ist ein handfester Skandal: Während die Finanzierung der Aids-Hilfen hierzulande stagniert, wird ein gemeingefährlicher und schwulenfeindlicher Film über die sogenannte Aidslüge mit öffentlichen Mitteln in Höhe von über einer halben Million Mark gefördert. Geld für die Förderung der Produktion gaben die Länderfilmförderungen von Brandenburg (58.000 Mark), Hessen (70.000 Mark), Niedersachsen (250.000 Mark) und Nordrhein- Westfalen (200.000 Mark). Eine Auszeichnung der Filmbewertungstelle mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ hat der angebliche „Dokumentarfilm“ des Filmemachers Fritz Poppenberg, der an diesem Samstag in der Berliner Humboldt-Uni „welturaufgeführt“ wird, noch dazu bekommen. Der Film, für den sich noch kein Verleih gefunden hat, soll auch auf dem „Leipziger Dokumentarfilm- Festival“ gezeigt werden, das am Freitag begann. Die Message der „Aids-Rebellen“: Otto Normalverbraucher kann gar kein Aids bekommen. Das kriegen nur Schwule und Drogensüchtige.

Mit dem Film wollen die Anhänger des deutsch-amerikanischen Wissenschaftlers Peter Duesberg (zu denen auch Poppenberg gehört, der sich selbst als „Aids-Rebell“ bezeichnet) endlich ihre Thesen an eine breite Öffentlichkeit bringen: Danach ist das HIV-Virus keinesfalls die Ursache von Aids; auch sei Aids keine ansteckende und sexuell übertragbare Krankheit.

„Kondome retten kein Leben“

Safer Sex und der Gebrauch von Kondomen sind demnach überflüssig, was der frühere Krebsforscher Duesberg deutlich zu sagen pflegt: „Kondome retten kein Leben.“ Das meint auch der Berliner Duesberg-Jünger und Religionslehrer „Kawi“ Schneider, der die Aidslüge regelmäßig im Kabelfernsehen des Offenen Kanals verbreitet. Das „sogenannte Aids-Virus“ sei kein Grund, sich mit Kondomen zu schützen, „weil es kein Aids-Virus gibt.“ So Schneider in einem Interview des Ost-Schwulenblättchens Die andere Welt, das diese Sätze veröffentlichte. Mit solchen Slogans können schlecht Informierte in die Krankheit getrieben werden.

Die Duesbergianer machen sich zunutze, daß das Wissen über Aids noch lückenhaft ist. Sie kommen pharma-kritisch und alternativ- medizinisch daher, ignorieren aber den weltweiten Minimalkonsens, das das HIV-Virus durch Blut und andere Körperflüssigkeiten von Mensch zu Mensch übertragen wird.

Ihre „Gegenargumente“ beruhen hauptsächlich darauf, daß die Seuche langsamer als erwartet voranschreitet und das Aids-Virus kein typisches Virus ist. Warum gibt es so „wenig“ Tote, wenn es doch soviele HIV-Positive gibt, lautet ihre zynische Frage.

Die Anhänger der Aidslüge sind davon überzeugt, daß die Immunschwächekrankheit in der westlichen Welt die Folge des Gebrauchs „psychoaktiver“ Drogen (Kokain, Poppers, Heroin), mithin eines bestimmten Lebensstils ist. Selbst Schuld haben sie, die Schwulen, die sich mit Drogen sexuell stimulieren.

Auch das Aids-Medikament AZT ist laut Duesberg, der in der Aids-Forschergemeinde inzwischen als Paria gilt, für die Krankheit verantwortlich. Seine Jünger haben – auch das zynisch – den Slogan der Aids-AktivistInnen von Act Up „Silence = Death“ flugs umgewandelt in „AZT = Death“ (siehe Abbildung aus einer ihrer Broschüren).

Die Thesen des Oberhaupts der Aidslügner Peter Duesberg, der Molekular- und Zellbiologe an der University of California in Berkeley/USA ist, werden von der Mehrheit der Aids-Forscher gar nicht erst diskutiert. Professor Meinrad Koch, Leiter des Nationalen Aidszentrums beim Bundesgesundheitsamt: „Ich lehne es ab, mit diesen Leuten zu diskutieren.“ Das könne er auch nur jedem anderen raten. Das National Institute of Health der USA: „Dazu geben wir nun wirklich keinen Kommentar ab.“

Ein Zahnarzt und der „Voodoo-Effekt“

Der Film zur Aidslüge präsentiert sich durchgängig schludrig, auch wenn zur Tarnung Interview-Schnipsel seriöser Aids-Experten untergemischt sind. Zum „Beweis“ der Gefährlichkeit des Aids-Medikaments AZT etwa filmt Fritz Poppenberg einfach den Beipackzettel von AZT ab. Die Aussage eines Pornoproduzenten, daß es in der Branche keine Aidskranken gebe, soll belegen, daß Aids keine übertragbare Krankheit ist. Warum auch die „unschuldigen“ Bluter-Kinder sterben, erklärt auf der Leinwand ein Schweizer Professor namens Alfred Hässig: Das industriell vermischte Blutplasma sei ohnehin versaut, und die Bluter würden deshalb an ganz normalen Krankheiten sterben. Ein Zahnarzt erzählt, daß er keinen einzigen Kollegen kenne, der sich beim Bohren mit HIV infiziert habe. Nicht mal Hepatitis würde man sich bei der Behandlung holen... Daß Hepatitis ganz anders übertragen wird, nämlich durch Tröpfcheninfektion, das erwähnt Filmemacher Poppenberg nicht. Neben Duesberg, dessen mit Wissenschaftsjargon überladene Aussagen den Film dominieren, kommen auch weitere US-„Experten“ vor, die Aids für einen „Voodoo- Effekt“, für eine „kollektive Angst“ halten.

Bislang hatten die Anhänger der Aids-Lüge, die in den USA und auch in Deutschland ein „agressives Geflecht von Amateurforschern Pamphletschreibern, Pseudowissenschaftlern und ,Freizeit'- Journalisten“ (Berliner Stadtmaganzin zitty) entwickelt haben, keine breite Plattform für ihre in der Konsequenz mörderischen Thesen. Die taz beispielsweise hat bewußt kaum ein Wort über diese Leute verloren. Die Duesbergianer mußten sich mit einer Sendung im Berliner Kabelfernsehen und ihrem Postfach-Kleinverlag „pädagogische Arbeitsstelle“ (pad) in Dortmund sowie einer dubiosen „Stiftung freie Nachrichten“ begnügen. Doch die Förderung und Auszeichnung ihres Films (Filmbewertungsstelle: „Gelungenes Beispiel für Gegenöffentlichkeit“) macht es nun nötig, vor den Verschwörungstheoretikern zu warnen, die mit dem Gestus von Aufklärern auftreten.

Einer der Förderer des Films, Michael Böhme von der hessischen Jury, legt bei Nachfrage Wert auf die Feststellung, „kein Zensor und kein medizinischer Experte“ zu sein. Er meint aber, daß „dieses wichtige Thema nicht nur einseitig diskutiert werden“ dürfe. Die „andere Sicht“ habe es bisher „im Film nicht gegeben, nur in den TV-Magazinen“. Steffen Wolf, Verwaltungsdirektor der Filmbewertungsstelle, die das Prädikat „Besonders wertvoll“ vergab, lobt „die interessante These“ des Films und fühlt sich „moralisch nicht zuständig“. Er könne nicht beweisen, „daß der Film unseriös ist“. Vielleicht hätten er und seine Kollegen das lieber überprüfen sollen. Hans-H. Kotte