„Nationalrevolutionäre“ gegen Ausländer

Heute soll die militante „Nationalistische Front“ vom Bundesinnenministerium verboten werden/ Ein Portrait der militant ausländerfeindlichen rechtsradikalen Organisation  ■ Von Bernd Siegler

„Wir müssen den Ausländern den Aufenthalt so unbequem wie möglich machen.“ Der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger gab beim Bundestreffen der „Nationalistischen Front“ (NF) im hessischen Niederaula im April 1991 die Stoßrichtung der militanten Neonazi-Organisation an.

In ihrem „9-Punkte-Plan zur Ausländerrückführung“ fordert die militante Organisation nicht nur, „kriminelle Ausländer unverzüglich abzuschieben“, sondern auch die Zahlung einer „Integrationssteuer von 50.000 DM pro Jahr für jeden Ausländer, den ein Arbeitgeber beschäftigt“, die Zuweisung von Sozialwohnungen „nur an Deutsche“ sowie die Einstellung von Kindergeld- und Erziehungsgeldzahlungen an Ausländer.

Doch mit solchen Maßnahmen geben sich die laut Bundesamt für Verfassungsschutz etwa 130 Mitglieder der 1985 in Steinhagen bei Bielefeld gegründeten Kaderorganisation schon lange nicht mehr zufrieden. Im Dezember 1988 steckte der 19jährige NF-Aktivist Josef Saller im oberpfälzischen Schwandorf ein überwiegend von türkischen Familien bewohntes Haus an. Vier Menschen starben, weil Saller nach eigenen Angaben „Ausländer ärgern“ wollte. Er wurde als Einzeltäter und Einzelgänger verurteilt.

Organisatorische Zusammenhänge zur NF spielten vor Gericht keine Rolle, obwohl das Motto der NF lautet: „Ein NF-Kamerad ist selbstbewußter, revolutionärer und nationalistischer Einzelkämpfer, der – immer das große Ziel vor Augen – unbeirrt seinen Weg geht.“ Die beiden Skinheads, die letzte Woche in einer Wuppertaler Gaststätte einen 53jährigen Mann, weil sie ihn für einen Juden hielten, verprügelten, anschließend mit Schnaps übergossen, anzündeten und die Leiche über die Grenze nach Holland brachten, sollen Mitglieder der NF gewesen sein. Im letzten Jahren waren NF-Mitglieder bei Anschlägen auf Flüchtlingswohnheime in Bremen dabei, ebenso wie NF-Mitglieder in vorderster Front an Ku-Klux-Klan- Aktivitäten im westfälischen Herford sowie in Königs Wusterhausen beteiligt waren.

Die Nähe von aggressiver, menschenverachtender Propaganda und entsprechender Tat wird wohl bei kaum einer neonazistischen Gruppierung so deutlich wie bei der NF, deren Mitglieder sich bei ihrer Gründung aus Beständen der 1983 verbotenen „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/ Partei der Arbeit“ sowie aus Überläufern der „Jungen Nationaldemokraten“ rekrutierten.

Die NF sieht sich als Nachfolgeorganisation der SA, als „neue vereinigte Kraft aller revolutionären Nationalisten“. Ihre Mitglieder, die fünf Prozent ihres Bruttoeinkommens in die Parteikasse zahlen müssen, wollen keine „Kaffee- oder Bierhausnationalisten“ sein, sondern „kämpfende Nationalisten“. Sie propagieren einen „völkischen Sozialismus“ und geben sich antimperialistisch sowie antikapitalistisch.

Mit dieser Ideologie gelang es der NF problemlos, nach dem Fall der Mauer im Osten Fuß zu fassen. Neben ihren Stützpunkten im Westen in Pivitsheide, Bonn, Kelheim, Traunstein und Freising hat sie es geschafft, durch gezielte Kaderarbeit in Berlin, Kremmen, Königs Wusterhausen, Schwedt, Eberswalde, Oranienburg und Nauen neue Stützpunkte aufzubauen.

Die NF versteht sich selbst als Kaderorganisation, aufgebaut in „Zellen“ und „Stützpunkt“. Neben ideologischen Schulungen und Hitler-Geburtstagsfeiern werden alljährlich paramilitärische „Ausbildungslager“, z.B. 1988 in der Lüneburger Heide unter dem Motto „Junge Kolonnen marschieren für das 4. Reich“, statt. Im letzten Jahr versuchte die NF sich an die Spitze der revisionistischen Bewegung zu setzen und organisierte mit internationaler Besetzung im Juni 1991 in Roding einen Kongreß zur „Auschwitz-Lüge“. Die Veranstaltung wurde verboten.

Nach dem Verkauf ihres Hauses in der Bielefelder Bleichstraße ist derzeit das Zentrum aller NF-Aktivitäten ein Haus in Detmold-Pivitsheide. Der gleich angrenzende Bundeswehr-Truppenübungsplatz Senne bietet ideale Voraussetzungen für spontane Wehrsportübungen. Um ihre Inhalte zu verbreiten, gibt die NF das interne Mitteilungsblatt Aufbruch sowie die Zeitschrift Revolte heraus. Die Nachrichten aus der Szene sowie Der Hetzer wurden inzwischen eingestellt. Zielgruppe der NF-Publikationen sind vor allem Angehörige der Skinhead- und Hooligan- Szene. Für Jugendliche gab es die Vorfeldorganisation „Jungsturm Deutschland“, für Sympathisanten den „Förderkreis Junges Deutschland“.

In ihren Schriften sympathisiert die NF offen mit rassistischen Gewalttaten. Karikaturen zeigen Skins, die mit ihren Stiefeln einen am Boden liegenden Türken treten. Ein in der JVA Ottweiler inhaftierter Leser bekannte in einem Leserbrief: „Dieses Kampfblatt weckt in mir das Gefühl: Los, steh auf und kämpfe mit!“

Feuerrituale, schon im Nationalsozialismus bewährtes Mittel zur Faszination der Massen, spielen in der NF-Propaganda eine bedeutende Rolle. „Helft mit, das Holz zusammenzutragen, aus dem wir ein Feuer machen wollen“, mobilisierte die NF ihre Anhänger für die Teilnahme an der Europawahl 1989. Sonnwend- oder Julmondfeiern zusammen mit der von Jürgen Rieger geführten rassistischen „Artgemeinschaft“ gehören ebenfalls zum NF-Programm. Die nächste Feier soll vom 4. bis zum 6. Dezember in der Kulturhalle der Gemeinde Exdorf bei Meiningen in Südthüringen stattfinden.

Derzeit läuft gegen die NF ein Ermittlungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft wegen Verdachts auf Gründung einer terroristischen Vereinigung. Anlaß dazu war ein von NF-Generalsekretär Meinolf Schönborn verfaßter Aufruf zur Gründung von „Nationalen Einsatzkommandos“ (NEK). Diese „kadermäßig gegliederten hochmobilen Verbände“ sollten den „Kampf für ein völkisches Deutschland besser, zielgerichteter, sicherer und noch erfolgreicher durchführen können“.

Während trotz einer Vielzahl von Hausdurchsuchungen im ganzen Bundesgebiet die Ermittlungen immer noch auf der Stelle treten, konnte sich die NF in aller Ruhe umorganisieren.

Sie schmiß ihren Generalsekretär und Vorsitzenden Meinolf Schönborn aus der Partei und gab bekannt, daß die NEKs dessen „alleinige Privatsache“ gewesen seien. Die Führung übernahm im August 1982 Andreas Pohl, ehemals Schlagzeuger der Berliner Skinband „Kraft durch Froide“. Bei den Landratswahlen im niederbayerischen Kelheim in diesem Herbst erzielte Pohl 1,29 Prozent der Stimmen.

Pohl und Schulungsleiter Steffen Hupka beschlossen, die Zentrale nach Berlin zu verlagern. Doch Schönborn gab sich nicht geschlagen. Detailliert wies er in internen Schriften nach, daß es innerhalb der NF „mehrfach ausführliche Besprechungen“ über die NEKs gegeben habe und das ganze „Konzept minutiös durchgesprochen“ worden sei. „Glaubt keinen Leuten, die vollmundig das System kritisierten und ihm den Kampf ansagten, aber bei der ersten Hausdurchsuchung durch das BKA sich in die Hose machen“, appellierte Schönborn an die NF- Kader und -Sympathisanten. Gleichzeitig kündigte er unmißverständlich an, die Idee des Aufbaus von NEKs weiterverfolgen zu wollen.

Vor Gericht gewann er schließlich gegen seine Kontrahenten und rief als NF-Bundesvorsitzender zur Beteiligung an dem für den 15. November in Halbe geplanten Gedenkmarsch für die Waffen-SS auf.

Der Flügel um Andreas Pohl firmiert jetzt unter dem Namen „Förderwerk Mitteldeutsche Jugend“, ein ideales Auffangbecken nach dem NF-Verbot.