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Harold Pinter im Niemandsland

■ Der Dramatiker steht in London erstmals wieder auf der Bühne

Wer kennt schon Islington? Der kleine Stadtteil im Norden von London ist derzeit Schauplatz einer Theatersensation. Nach mehr als 20 Jahren tritt der Dramatiker Harold Pinter wieder in einem englischen Theater auf, in der Rolle des Hirst in seinem 1975 uraufgeführten Stück „No Man's Land“ (Niemandsland).

Pinter, der als Schauspieler anfing, zeigt bis zum 19. Dezember im Almeida Theatre das Porträt eines Künstlers als alter Mann, einsam, voller Selbsthaß, Selbstzweifel und voller Furcht vor dem Alter. Etwa ein Selbstporträt? Dazu, wie zu allen seinen Stücken, sagt der 62jährige Autor kein einziges Wort.

„Niemandsland“ ist ein Intellektuellen-Drama. Pinter seziert die seelischen Innereien eines alternden Schriftstellers in der Krise. Hirst ist ein wohlhabender Mann in den Sechzigern, als Poet erfolgreich, als Mensch beinahe am Ende und auf die imaginären Tröstungen des Alkohols angewiesen.

Hirst hat den gleichaltrigen, erfolglosen und heruntergekommenen Dichterkollegen Spooner in einer Kneipe aufgelesen und mit in sein Haus in Hampstead gebracht. Zwischen beiden entwickelt sich ein intellektuelles, tragikomisches Duell– für Hirst ein Kampf um Überlegenheit, für Spooner, der sich bei Hirst einnisten will, ein Kampf ums Überleben.

Pinters Clinch liefert den Stoff, aus dem große Schauspieler ein Ereignis machen: Ralph Richardson (Hirst) und John Gielgud spielten unter der Regie von Peter Hall in der Uraufführung 1975 in London, Martin Held und Bernhard Minetti beharkten sich 1976 in Hans Lietzaus Produktion im Berliner Schloßpark-Theater. Pinter und Paul Eddington als Spooner brauchen sich hinter Richardson und Gielgud nicht zu verstecken.

Auf der Bühne herrscht Frost. In kahlem Ambiente (Design: Bob Crowley) reden sich die Figuren in Rage, die Voyeure im Zuschauerraum werden, ob sie wollen oder nicht, in das faszinierend-abstoßende Spektakel hineingezogen. Pinter sitzt in seinem Ohrensessel wie ein launischer König auf seinem Thron. Eisig, gravitätisch, blasiert, grausam, dann wieder zuvorkommend und charmant reagiert er auf Spooners anfängliche Gesten der Unterwerfung.

Hirsts kalter Blick verbirgt nur unvollkommen Unsicherheit und Panik; seine Oberklassen-Nonchalance ist gespielt. Der Erfolgspoet erscheint anfänglich wie ein Fels, doch allmählich zeigen sich Risse, der Stein zerbröselt. Er säuft. Angetrunken kaut er seine Worte, angeschlagen wie ein Boxer schleppt er sich zur Bar; doch auch dieser Säufer trinkt nur so lange, bis er fällt.

Das ist komisch und tragisch zugleich. Tragisch, wenn Hirsts Verzweiflung an die Oberfläche kommt – eine Verzweiflung, deren Ursachen im dunkeln bleiben und die sich nur mehr poetisch, in der Metapher vom „Niemandsland“, fassen läßt: „No man's land“, sagt Hirst, „... does not move ... or change ... or grow old ... remains ... forever ... icy ... silent.“ Pinter spielt diese Szene mit müheloser Brillanz; ihm ist das Niemandsland nicht fremd.

Paul Eddingtons Spooner, gebeugt, spillerig und zerzaust, ordnet sich unter, geht zum Angriff über, wenn er Schwäche wittert; er besitzt den Instinkt und die Zähigkeit eines alten Köters. Er ist die Frustration und das Versagen auf zwei Beinen, die lebensechte Entsprechung von Hirsts Seelenleben.

Auch David Leveaux' Inszenierung erhellt nicht alle Rätsel und Anspielungen des Textes, obwohl sie allen Facetten des Stückes gerecht wird – seiner Sprachkunst und den kaum übersetzbaren Sauereien, Spannung, Tempo und Intensität. Pinters „Niemandsland“ wirkt (alp)traumhaft, teilt seine Bedeutung nicht intellektuell, sondern sinnlich, auf poetische Weise mit.

Viele Zuschauer, schrieb John Peter in der Sunday Times, haben sich von diesem Stück überwältigen lassen, ohne richtig zu wissen, was es eigentlich sagen und bedeuten will. Dies, glaubt Peter, sei ein Indiz dafür, daß Pinters „Niemandsland“ den Betrachter mit seinem Unterbewußtsein konfrontiert, mit Phänomenen wie Selbstzweifel und Selbstekel, von denen im Alltag niemand etwas wissen will. Dietmar Kanthak

Bis 19.12. im Almeida Theatre, Almeida Street, Islington, London. Karten unter 0044-7013594404.

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