: Rhythmische Gewissensbisse
■ Bayerisches Familienministerium verbreitet Musikkassette gegen Abtreibung
München (taz) – Seit vier Jahren, also seit in Memmingen der Frauenarzt Horst Theissen verhaftet wurde, gibt es im bayerischen Staatsministerium für Arbeit, Familie und Sozialordnung das „Referat Schutz des ungeborenen Lebens“. Dieses „Anti-Abtreibungs- Referat“ verbreitet neuerdings Kassetten mit sieben Songs aus dem Musical „Leben und leben lassen“. Zielgruppe sind vor allem Jugendliche, „die mit dem zeitgemäßen Medium für den Lebensschutz sensibilisiert werden sollen“. Das erfolgt allerdings auf gar nicht sensible Art.
Da wird zu rhythmischer Musik der Abendspaziergang einer verzweifelten schwangeren Frau geschildert: „Als ich erfuhr, bei meinem Arzt, daß ich jetzt schwanger bin, da dachte ich: Nein, das darf nicht sein! Meine Zukunft ist dahin! Er sagte, es gibt eine Frist, die Zeit wird ziemlich knapp. Wenn ich das Kind nicht haben will, dann treiben wir es ab!“
Im nächsten Song steht der Partner der Frau bei Bier und Schnaps am Tresen: „Ich hab ja nichts damit zu tun! Das war Leichtsinn! Nur von ihr!“ Doch irgendwann kommt dem Herrn die Erleuchtung, daß er das Kind doch will. Schließlich sei's ein Teil von ihm. Dieser Teil, die Kinderstimme aus dem Mutterleib, ertönt prompt in der nächsten Strophe, nachdem die Schwangere sich – bayerischer Heustadel-Kitsch – an die laue, sommerliche Zeugungsnacht erinnert hat: „Und dann geschieht das Wunder. Ganz plötzlich bin ich da! Ich bin am Leben, ein Mensch in deinem Bauch, Mama! Bitte laßt mich leben! Bitte halt zu mir! Bitte laß mich leben! Ich bin so glücklich bei dir!“
Wer so schön singt, hat ein Happy-End verdient. Mama und Papa entscheiden sich gegen den Schwangerschaftsabbruch, den der Arzt so leichtsinnig empfohlen hat. Bliebe noch der Schlußsong des bayerischen Ministerium-Musicals. Die Schwangere erhält Besuch von einer Freundin, die abgetrieben hat. Und die plagen Gewissensbisse – ganz unabhängig davon, daß jüngst eine Psychiater- Kommission der Chicago University an 5.000 befragten Frauen feststellte, daß sich bei 94 Prozent der Seelenzustand nach einer Abtreibung nicht verschlechterte. Im Musical ist das anders: „Mein Kind, hätt ich heute noch die Wahl, sie fiele mir nicht schwer. Ich wär' klar fürs Leben! Doch du lebst schon lang nicht mehr!“
Als Musical-Schöpfer wird auf der Kassettenhülle „Futurus“ genannt. Dahinter verbirgt sich der Landshuter Arzt Claus Schulte- Uebbing, der sein Werk bereits vor zwei Jahren dem Ministerium anbot. Für 5.000 Kassetten hat das Sozialministerium 20.000 Mark aus dem Fonds „Öffentlichkeitsarbeit“ hingeblättert. Bayerische Rundfunksender werden höflich gebeten, „die Kassette in Ihr Programm aufzunehmen“. Der Landesfilmdienst hat den Vertrieb des 10,50 Mark billigen Tonträgers an private Interessenten übernommen.
Doch das Musical läuft schlecht– bei den Radiostationen und bei der vermeintlichen Zielgruppe, wie das „Referat Schutz des ungeborenen Lebens“ bestätigt. Das wird wohl in Kürze den Haushaltsausschuß des bayerischen Landtags beschäftigen. Der muß entscheiden, wie der finanzielle Flop der „Rhythmischen Schwangerschaftsberatung“ verbucht werden soll. Klaus Wittmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen