Europa setzt auf Vereinheitlichung

■ Einwanderungsminister beraten über Abschottung

Nicht etwa der Schutz von Flüchtlingen ist Thema des zweitägigen Treffens von zwölf europäischen Einwanderungsministern, das heute in London beginnt. Im Mittelpunkt der Beratungen der „Trevi-Gruppe“ steht vielmehr der Schutz Europas vor „unbegründeten Asylanträgen“. Der britische Innenminister Kenneth Clarke, der die Versammlung hinter verschlossenen Türen leitet, bringt einen ganzen Stapel von Vorschlägen mit. Sie haben alle ein Ziel: Asylanträge sollen von den Ländern der Europäischen Gemeinschaft ferngehalten oder zumindest in schnelleren Verfahren bearbeitet werden. Denn die 750.000 Flüchtlinge, die in diesem Jahr in den EG-Ländern erwartet werden, sind nach Ansicht des Briten, der in seinem eigenen Land vor wenigen Wochen ein restriktives Asylgesetz duchgepaukt hat, entschieden zu viele.

Clarke will — soviel ist durchgesickert — seine europäischen Kollegen auf gemeinsame Vorgehensweisen beim Abschotten einschwören: „Offensichtlich unbegründete Asylanträge“ möchte er überall gleich behandelt wissen. Der Begriff des „Erstaufnahmelands“ soll vereinheitlicht werden und das Konzept der „Länder, in denen generell keine ernstliche Verfolgungsgefahr besteht“, soll europaweit angewandt werden.

In einem Resolutionsentwurf heißt es, daß Flüchtlinge grundsätzlich im nächstmöglichen Nachbarland Schutz suchen sollen. Asiaten und Afrikaner sollen auf ihren jeweiligen Kontinenten unterschlüpfen. Der deutsche Wunsch, AsylbewerberInnen nach einer Quotenregelung auf alle Länder der EG zu verteilen, wurde bei den Vorbereitungstreffen abgelehnt. Begründung: Die Schutzsuchenden müßten möglichst nah an ihrer Herkunftsregion bleiben.

Zahlreiche weitere Schikanen gegen Flüchtlinge stehen auf der Tagesordnung der Trevi-Gruppe. Sie möchte europaweit das Höchstalter für die Familienzusammenführung auf 16 bis 18 Jahre senken. Sie will das Verfahren bei Abschiebungen vereinheitlichen und den polizeilichen Austausch von Daten und Fingerabdrücken von Flüchtlingen verbessern.

Am niederländischen und französischen Widerspruch scheiterte vorerst der britische Vorschlag, gemeinsame Listen von Ländern zu erstellen, deren Menschenrechtssituation angeblich keine Flucht rechtfertigt. Tatsächlich arbeiten einzelne EG-Länder längst mit solchen Listen. Auf europäischer Ebene jedoch — und auch das ist eines der selbstgesteckten Ziele der Trevi-Gruppe — sollen nun Kriterien entwickelt werden, um den Entscheidungsprozeß bei Asylverfahren zu beschleunigen.

Die Einwanderungsminister, von denen die meisten auch oberste Polizeiverantwortliche ihrer Länder sind, haben den Termin geschickt gelegt. Nur wenige Tage nach ihnen kommen am 11. und 12. Dezember ihre Staats- und Regierungschefs zum EG-Gipfel nach Edinburgh. Wenn alles nach Clarkes Plan verläuft, werden sie dort eine Resolution über „vereinheitlichte Asylverfahren“ verabschieden, die ihnen die Trevi-Gruppe auf den Tisch gelegt hat.

Unabhängige Gruppen wie das niederländische „Büro gegen Rassismus“ und amnesty international befürchten, daß bei der geplanten „Harmonisierung“ die Menschenrechte der Flüchtlinge unter den Tisch fallen. So sei nicht genügend berücksichtigt, daß Flüchtlinge ein Recht auf Einspruch gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge haben müssen, ohne währenddessen abgeschoben zu werden. Auch sei nicht garantiert, daß bei Abschiebungen in ein „Erstaufnahmeland“ dort dauerhaft Schutz vor Verfolgung bestehe. Bei der Aufstellung von Kriterien für „sichere Herkunftsländer“ könnten zudem alle möglichen asylfremden Erwägungen interferieren. Grundsätzlich jedenfalls gelte, daß „kein Staat der Welt generell verfolgungsfrei“ sei, so amnesty international.

Für „vereinfachte und beschleunigte Asylverfahren“ zeigen die Flüchtlingsorganisationen durchaus Verständnis. Nur dürfe das kein Raubbau an dem in drei Jahrzehnten mühsam aufgebauten internationalen Schutzsystem für Verfolgte sein. Vielmehr müsse die Rechtssicherheit für Flüchtlinge verbessert werden. Im Vorfeld des Londoner Treffens klagte amnesty international erneut ein internationales Abkommen über Mindestgarantien für faire Asylverfahren ein.

Ein derartiges Abkommen freilich steht nicht auf der Tagesordnung. Einziges EG-Zugeständnis an die immer gefährlichere Lage von Flüchtlingen in Europa ist vorerst ein pflichtschuldig vorgebrachtes Anliegen der niederländischen Regierung. Die will — bislang als einzige — auf dem EG- Gipfel in Edinburgh über den Rassismus in Europa sprechen. Dorothea Hahn