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Ein zerschlagenes Lebenswerk?

■ Der Festakt zum achtzigsten Geburtstag des verstorbenen Heinz Galinski wird zu einer sorgenvollen Bilanz über die Bemühungen, jüdisches Leben neu zu begründen

Berlin. Am vergangenen Sonnabend wäre Heinz Galinski achtzig Jahre alt geworden. Als Geburtstagsgeschenk war eine Festschrift geplant, die den schwierigen Beginn des jüdischen Lebens nach Auschwitz in Deutschland und Berlin hätte dokumentieren sollen. Obwohl er als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde diese Zeit wie kein anderer jüdischer Politiker in Deutschland mitgestaltete, sollte die Publikation keine Biographie, sondern eine Art Bilanz werden. Die Existenz von jüdischen Gemeinden in Deutschland sei Vertrauensbeweis und ein Gradmesser für die Stabilität der Demokratie, hatte er oft gesagt und deshalb in Sorge seine Stimme erhoben, nicht nur, wenn es um direkte jüdische Probleme ging.

Jetzt ist diese Festschrift, herausgegeben von Andreas Nachama und Julius H. Schoeps mit dem programmatischen Titel „Aufbau nach dem Untergang“, zu einer Gedenkschrift geworden.

An der Feierstunde nahmen Ignatz Bubis, nach Heinz Galinskis Tod Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, viele Weggfährten und zahlreiche Politiker teil.

„Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um vor neuem Unrecht zu schweigen“, an dieses Credo von Heinz Galinski erinnerten alle Redner und an die Verpflichtung, die sich daraus für die Politik heute ergibt. „Für viele war er unbequem, für viele war seine Stimme zu laut“, sagte Jerzy Kanal, der jetzige amtierende Vorsitzende, „aber die politische Entwicklung bestätigt im nachhinein seine Warnungen und Mahnungen.“

Er fügte hinzu, daß es vielleicht für Galinski eine Fügung des Schicksals war, die Zeiten nicht mehr erleben zu müssen, „in denen sein Lebenswerk durch die alarmierende Realität in Frage gestellt wird“. Viele Weggefährten von damals, meinte Kanal, „hätten heute Zweifel“, ob seine Entscheidung, „jüdisches Leben in diesem Land neu zu erwecken, richtig gewesen war“.

Die Kritik an den Regierenden war nicht zu überhören, als Kanal sagte, daß jüdischen Menschen die Ängste nicht mehr durch Worte, „auch wenn sie noch so deutlich sind“, genommen werden können. In Zeiten, in denen neue Rechtsradikale ihre Verbrechen immer weiter steigern und auch vor Morden nicht zurückschrecken, seien alle staatlichen Stellen verpflichtet, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Kriminalität von Rechts zu kämpfen.

Diese Frage, ob Galinskis Lebenswerk für die jüdische Gemeinde und die deutsche Demokratie nicht in den letzten Monaten von der rechten Gewalt kaputtgeschlagen wurde, diese Frage beantworteten in Abweichung von den Redemanuskripten Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und der Regierende Bürgermeister Diepgen erwartungsgemäß und gleichermaßen mit „nein“.

Denn jeder Verzweifelte, der jetzt Deutschland verlasse, sagte Frau Süssmuth, „wäre ein Verlust für die Demokratie und ein Erfolg für die Rechten“. Heinz Galinskis Mahnen sei gerade jetzt Verpflichtung für die Gegenwart, denn „er habe zu allem Unrecht nie geschwiegen und uns gelehrt, nicht wegzuschauen“. Ob dieser Satz den im Saal sitzenden Schriftsteller Ralph Giordano nach Rostock, den Brandanschlägen auf jüdische Gedenkstätten und den Morden von Mölln überzeugen kann, ist sehr zu bezweifeln. Denn er kündigte, weil der Staat versagt habe, den Selbstschutz durch Bürgerwehren an. Mit deutlichem Blick auf Giordano betonte die Bundestagspräsidentin deshalb wiederholt das staatliche Gewaltmonopol gegen rechtsextremistische Gewalttäter.

Auch Eberhard Diepgens Anliegen war es, die demokratische Substanz Deutschlands zu betonen und damit Heinz Galinskis Lebenswerk nicht zu schmälern. Wer heute sage, daß die Zustände an 1932 erinnern, verharmlose die Endphase der Weimarer Republik und die nationalsozialistischen Verbrechen. „Der Staat ist heute schärfster Gegner der Verbrechen. Wir werden Haß mit Verachtung vergelten und Gewalt mit Strafe. Wir werden den Feinden der Freiheit keinen Fußbreit Freiheit geben.“ Heinz Galinskis Name stehe aber nicht nur für demokratische Ernsthaftigkeit, sondern für die Entwicklung der politischen Kultur. Gemeinsam mit Galinski habe er die große Ausstellung „Jüdische Lebenswelten“ eröffnet und in Gedenken an ihn den Grundstein für das Jüdische Museum gelegt. Die Wiederherstellung der Neuen Synagoge sei ebenfalls „Orientierungsmarke“ einer großen Geschichte, „die ebenso deutsche wie jüdische ist“.

Dem Festakt im Gemeindehaus ging am Sonntag ein programmatisches Ereignis voraus. In der Waldschulallee 73/75 wurde ebenfalls im Beisein von viel Prominenz der Grundstein für den ersten jüdischen Schulneubau nach dem Holocaust in Deutschland gelegt. Dieser Bau sei ein Zeichen gegen das Aufflackern neofaschistischer Tendenzen und gegen die Gewalt von Rechts, sagte Bausenator Nagel.

Nach der Fertigstellung des futuristisch geplanten Baus im Jahre 1995 sollen 500 Schüler neben den üblichen Fächern Hebräisch, jüdische Geschichte und Religon lernen können. In memoriam und zur Ehre von Heinz Galinski wird die Schule, die auch nichtjüdischen Kindern offenstehen wird, seinen Namen tragen. Anita Kugler

Nachama/Schoeps, „Aufbau nach dem Untergang“, Argon Verlag 1992, 58 Mark. Besprechung folgt.

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