„Mit dem Verbot wird nichts unterbunden“

■ Bernd Wagner (37), bis Ende 1991 Leiter des Staatsschutzes beim Gemeinsamen Landeskriminalamt der neuen Länder, zum Verbot der „Nationalistischen Front“

taz: Was halten Sie vom Verbot der „Nationalistischen Front“ (NF) durch Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) am vergangenen Wochenende?

Bernd Wagner: Das Verbot der „Nationalistischen Front“ ist überfällig. Allerdings sollten die anderen Organisationen jetzt nicht vergessen werden. Beispielsweise die „Nationale Liste“, die „Nationale Offensive“, die „Deutsche Alternative“, die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) – im Grunde genommen die Gesamtheit der neonazistischen Organisationen der Bundesrepublik. Man sollte vielleicht auch prüfen, was sich im sogenannten national-demokratischen Spektrum, bei der „Deutschen Volksunion“ (DVU) und auch in Bereichen der „Republikaner“, tut.

Wie ist denn die Gefährlichkeit der NF einzuschätzen?

Die NF ist keine marginale Organisation. In den neuen Bundesländern, im Raum Berlin und Brandenburg, hat die NF ein weitverzweigtes Netzwerk entfalten können – darin sind nicht nur Parteimitglieder. Die NF ist in der Vergangenheit auch durch gewalttätige Aktionen aufgefallen. Ich halte diese Organisation für eine der brutalsten und ideologisch gefährlichsten nationalsozialistischen Gruppen.

Wie sollte nach dem Verbot der NF mit der rechten Szene weiter umgegangen werden?

Ich habe ein Problem mit der derzeit vorherrschenden Fokussierung auf die NF. Dabei wird der Eindruck vermittelt, daß die rechtsextremen Probleme in Deutschland nur auf neonazistische Gruppen beschränkt sind. Ich gehe eher davon aus, daß sich Rechtsextremismus zunehmend als soziale Bewegung formieren wird. Nicht überall werden dabei Organisationsmuster zu erkennen sein. Der derzeitige Ruf nach staatlichen Interventionen kann die wehrhafte Demokratie auch überstrapazieren. Wehrhaftigkeit sollte sich zwanglos am geltenden Recht orientieren. Das heißt auch, daß die Scheren in den Köpfen der Verantwortlichen beseitigt werden müssen.

Können Sie das etwas präzisieren?

Man hat in der Vergangenheit beim Thema Rechtsextremismus so getan, als ginge es hierbei um einzelne, unorganisierte Jugendliche, die spontan Asylbewerberheime angreifen würden. Jetzt macht man eine Art kopernikanische Wende in der Betrachtungsweise und versucht, die Realität der Wehrhaftigkeit wiederherzustellen. Dabei wird – ohne daß ich dabei die Gefährlichkeit der neonazistischen Gruppen unterschätzen will – manchmal auch übertrieben. Wichtig ist doch auch die Frage, wie die Taten später im Gerichtssaal geahndet werden.

Ist die Aktion von Innenminister Seiters nicht eine Wende in der bisherigen Betrachtungsweise?

Ich finde diesen Gesinnungswandel sehr merkwürdig. Da müssen sich in dramatischer Weise die Erkenntnisse bei Verfassungsschutz und Polizei verändert haben. Das verwundert mich doch sehr.

Welche Organisationen in Berlin-Brandenburg müßten Ihrer Ansicht nach ebenso wie die NF verboten werden?

Die „Deutsche Alternative“ und die FAP. Beide sind wie die NF Kaderorganisationen, vertreten in starkem Maße NS-Ideologie und sind vielfach mit militanten Aktionen ihrer Mitglieder an die Öffentlichkeit gegangen, die im Bereich des individuellen Terrors anzusiedeln sind. Ich weiß, daß dieser Terrorbegriff nicht durch das materielle Recht abgedeckt wird – aber von den Opfern werden diese Angriffe sicherlich so empfunden.

Sind Verbote überhaupt ein effektives Mittel, um die Aktivitäten zu unterbinden?

Mit so einem Verbot kann nichts unterbunden werden. Alte, vertraute Verbindungen lösen sich dadurch nicht auf.

Also hat es eher eine psychologische Funktion?

Mit dem Verbot setzt der Staat zunächst einmal ein klares Zeichen. Hinzu kommt, daß diese Parteien und Organisationen dadurch gehindert werden, an Wahlkämpfen teilzunehmen. Somit können sie auch nicht mehr ihre Theorie der Ungleichheit, des Antihumanismus auf die parlamentarische Bühne heben. Interview: Severin Weiland