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Kopfkissenbilder

Filmzensur in Japan  ■ Von Yoko Takahashi und Thomas Mormann

Das wirksamste Instrument der Filmzensur überall in der Welt ist sicher die „Schere im Kopf“. In Japan jedoch setzt das „Filmethikkomitee“ – EIRIN – bis heute auf schwarze Streifen. Diese stellen sicher, „daß Schamhaare und Genitalien auf der Leinwand nicht sichtbar sind“. So war es bis zum Oktober diesen Jahres. Seit neuestem hat sich das geändert. Von nun an gilt, daß Schamhaare und Genitalien nur „im Prinzip“ nicht gezeigt werden sollen. Wie das genau zu verstehen ist, bleibt unklar. Immerhin gibt EIRIN die Erläuterung, daß eine „nichtsexuelle“ Badezimmerszene oder das Nackt- durch-die-Wohnung-laufen nicht mehr durch die schwarzen Balken kommentiert werden muß. Wichtig ist, so EIRIN, daß die Szene beim Publikum keine sexuelle Assoziationen weckt (!). Wie man in Zukunft zu verfahren hat, ist unklar: hat die „an sich“ nichtsexuelle Szene im Bad eine „sexuelle“ Bedeutung? Nur EIRIN weiß es.

Wie kommt es zu einer solch grotesken Zensur in Japan? Grundlage für EIRINs Entscheidungen ist der §175 des japanischen Strafgesetzbuches von 1907, der lautet: „Personen, die obszöne Schriften, Zeichnungen usw. veröffentlichen, verkaufen oder sonstwie öffentlich zugänglich machen, werden mit Gefängnis von weniger als zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe von weniger als 2,5 Millionen Yen bestraft.“ EIRIN selbst ist eine nichtstaatliche Einrichtung, die 1949 mit dem Ziel gegründet wurde, die direkte Zensur durch den Staat und die amerikanische Besatzungsmacht abzufangen.

Das Problem mit dem §175 ist natürlich, was mit „obszön“ gemeint ist. Der oberste Gerichtshof Japans gibt dazu die folgende Hilfestellung: „Obszön ist das, was geeignet ist, die sexuelle Begierde anzuregen oder die Lust anzustacheln, und/oder das normale Schamgefühl zu verletzten, und/ oder gegen die Regeln des guten Geschmacks zu verstoßen.“ Diese Erläuterung ist so schwammig, daß sie fast nach Belieben auslegbar ist, was natürlich auch getan wird.

Die Tabuisierung sexueller Themen in der Öffentlichkeit war ursprünglich keineswegs eine japanische Eigenart, sie wurde erst vor recht kurzer Zeit aus dem Westen, genauer gesagt aus den USA, eingeführt. Das führte zu einer Abwertung der traditionellen japanischen Gebräuche und Verhaltensweisen, die oft mit den moralischen Dogmen des (amerikanischen) Westens unvereinbar waren. Männer und Frauen zusammen nackt im Badehaus sind seither undenkbar. Geishas, eigens dafür ausgebildet, die Männer durch Tanz, geistvolle Konversation und manchmal auch durch Sex zu unterhalten: unmoralisch. Ein Volk, das an jeder Wegecke Statuen aus Holz oder Stein aufstellte, die Phalli und Vulvae darstellend, in allen möglichen Fruchtbarkeitskulten angebetet wurden – barbarisch!

Die Wertschätzung des Sexuellen beschränkte sich keineswegs auf die Traditionen des einfachen Volkes. Während des Sakoku (1639-1854), der „Zeit der Abschließung“, als Japan sich von der Außenwelt fast vollständig abgewendet hatte, blühte in Edo, dem späteren Tokyo, eine aufs höchste verfeinerte Kultur des Vergnügens und der Sinnesfreuden. Man ergötzte sich an eleganter Kleidung und aller Art von Kunstwerken, insbesondere an Gemälden und Drucken, Ukiyoe genannt. Deren Sujets waren vorwiegend Geishas, Szenen aus dem Kabuki-Theater und erotische Themen. Ukiyoe der letzteren Art wurden „Kopfkissenbilder“ genannt und erfreuten sich großer Popularität. Sie stellten sexuelle oder erotische Szenen in oft recht drastischer, direkter Weise dar und hoben die Darstellung erotischer Themen auf ein bis dahin unerreichtes künstlerisches Niveau. Die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane unverhüllt dargestellt, sie standen im Zentrum künstlerischer Aufmerksamkeit, und oft stellte der Künstler sie dar in stark vergrößerter Form und farblicher Betonung. Fast alle großen Künstler des Ukiyoe wie Utamaro, Hokusai und Harunobi widmeten einen bedeutenden Teil ihrer Arbeit den Sujets der „Kopfkissenbilder“. Die körperliche Liebe in all ihren Formen war ihrer Meinung nach eines der wichtigsten Dinge des Lebens, und eine Kunst, die dieser Tatsache nicht gerecht wurde, taugte nichts.

Diese Einstellung änderte sich, nachdem das Land sich Ende des 19.Jahrhunderts dem Westen geöffnet hatte. Die staatlichen Autoritäten begannen, die traditionellen Einstellungen und Sitten als etwas minderwertiges und zurückgebliebenes zu betrachten, dessen man sich schämen mußte. Der erste Fall von expliziter Zensur ereignete sich, als 1895 das öffentlich gezeigte Gemälde einer unbekleideten Frau auf Geheiß der Behörden teilweise verhüllt werden mußte. Diese Obsession, jegliche Darstellung von Genitalien und Schamhaaren zu verhindern, nahm nach dem Zweiten Weltkrieg groteske Ausmaße an: in Film und Fernsehen brillierte die Choreographie der schwarzen Streifen. Bis vor kurzem konnte man in Japan nur unter erheblichen Schwierigkeiten eine Ausgabe der Kopfkissenbücher des 18.Jahrhunderts ohne die entstellenden Zutaten erwerben. Erst in diesem Jahr hat sich das geändert.

Mittlerweile sieht man die Dinge etwas lockerer. Vor einiger Zeit erschien ein Bildband mit Aktfotografien der jungen Schauspielerin Rie Miyazawa ohne Balken. Ein nationales Tabu war gebrochen. Ob das von Dauer ist, muß sich erst noch herausstellen. Zwar hat EIRIN seine Bestimmungen gelockert, aber von der Abschaffung staatlicher Zensur kann man nicht sprechen, und es könnte durchaus sein, daß die vorsichtige Lockerung wieder rückgängig gemacht wird.

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