Schicker und dicker

■ Zehn Jahre Grüne im hessischen Landtag: Vom Fischgrätjackett zum Seidensakko

Frankfurt/Main (taz) – Mein Gott, was waren das für putzige Leute, die vor genau zehn Jahren mit verschlossenen Pappschachteln unterm Arm den hessischen Landtag enterten — zum Schrecken der Verwaltung und der Altparteien: Lange Haare, Bärte, Ketten, Ringe und Folklorekleider. Und vorneweg marschierte die „Vogelsberger Henne“ Gertrud Schilling, gefolgt von dem späteren „Blutspritzer“ Frank Schwalba- Hoth. In den Pappschachteln, um die beim Einzug der Grünen in den Plenarsaal mit den Ordnern ein Gerangel entbrannte, waren übrigens druckfrische Exemplare der hessischen Verfassung. Und Ex- taz-Redakteur Jochen „Jovi“ Vielhauer trug den prügelnden Hessenlöwen als Gesinnungsausweis am Seemannspullover.

„Von der Startbahn direkt in den Landtag“ seien sie gekommen, die hessischen Grünen bei den Landtagswahlen 1982, sagte der schicker und dicker gewordene Ex-Vizepräsident Bernd Messinger, jetzt im Pressereferat der Stadt Frankfurt. Heute stellen sie zwei Landesminister und zwei Staatssekretäre in der Regierung Hans Eichel, der damals als OB in Kassel der ersten rot-grünen hessischen Stadtregierung vorstand.

Zwischen damals und heute liegen zehn Jahre bewegter und bewegender Parlamentsgeschichte: Ein Holger Börner, der auf Druck der Verhältnisse und der Grünen hin seine Dachlatte in einer Wirbelschichtfeuerungsanlage verbrannte, die Monate der Tolerierung der SPD-Minderheitsregierung und das „Blutattentat“ von Schwalba-Hoth auf einen US-General als Protest gegen die Politik der US-Administration in Mittelamerika. Dann 1985 die erste rot- grüne Landesregierung der Bundesrepublik – und der erste grüne Minister dieses Planeten. Joschka Fischer trat zum Ärger von Börner im widerlichen Fischgrätenjackett ohne Krawatte und mit Turnschuhen zur Vereidigung an. Danach vierzehn Monate sozial-ökologische Koalition in Wiesbaden, bis der Totengräber von der SPD, Wirtschafts- und Atomminister Ulrich Steger, der heute dem Vorstand des VW-Konzerns angehört, an die Lunte der geballten Problemladung — Atomfabriken in Hanau und Ausweitung der Plutoniumproduktion — Feuer legte: die rot-grüne Koalition zerplatzte mit lautem Knall. Und vier Jahre lang legte sich der von der Regierung Wallmann (CDU) abgesonderte Mehltau wie ein politisches Leichentuch über das Hessenland.

Im Januar 1991 kam dann Rot- Grün wieder ans Ruder. Und Holger Börners „Lieblingsgrüner“ Karl Kerschgens aus der ersten Legislaturperiode sitzt wieder im Landtag. Joschka Fischer bekam als Minister alle Kompetenzen auf dem schlüpfrigen Atomsektor. Der Mann trägt heute gerne Seidensakkos und dazu passende Krawatten. Und mit Iris Blaul, ebenfalls schon 1982 Abgeordnete, stellen die Grünen ein zweites Kabinettsmitglied.

Heute wird im Landtag das Zehnjährige gebührend gefeiert, mit der Hessen-Hymne der Rodgau Monotones: „Erbarmen! Zu spät! Die Hesse komme!“ Klaus-Peter Klingelschmitt