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Mut zum Arschgesicht, mein Prinz!

Bloß gut, daß wir die Vollstrecker vom „Prinzen“ haben, welche diese verwöhnte Schickse namens Kultur mal richtig durchtesten hier! Und zwar volle Lotte nach Stars und Stories, nach Regie & Botschaft, ja im Grunde nach Strich & Faden! Sie hat doch eh nur drauf gewartet; umso bereitwilliger enthüllt sie jetzt, worauf's ankommt. Regie und Botschaft: Hier wird kein Blatt vor den Mund genommen.Ausstattung/ Bühnenbild: Etwas einfallslos und starr das Bühnenbild...Toll dagegen das behaarte Kostüm der Semiramis im Vorspiel. Die Story: Taktlose Einblicke in die Seele des Taxifahrers.

Wir hingegen dürfen seit drei Monaten Einblicke in die Seele des Kulturjournalismus tun, der nunmehr endlich und endgültig zu seiner Hochform gefunden hat, nämlich zum Konzerttest, zum Theatertest, zum Kunsttest, zum Küchentest, zum Updating des Pistenspachtlers. Seit drei Monaten walten ihm zu Diensten schon Wochen im voraus unserm Prinz seine Tester und testen also haufenweise Pressemitteilungen, PR-Mappen und Promo-Fotos, aber ohne Gnade, und tragen ihre Ergebnisse, betreffend Service bzw. Werk & Bedeutung bzw. ggf. Kleiderordnung , in diese praktischen Listen ein, allwo man überblickstechnisch alles parat hat; und der Turboleser zieht sich, was er braucht, im Vorüberdüsen. Kleine Probleme macht bei diesem Drive-In-Service noch die Befüllung der Fächer. Besonders der Theater-Überwachungsverein tut sich schwer. Wie zagte nicht neulich die Testerin, die nur noch Rainer Iwersen abgekriegt hatte: „Der sitzt doch bloß im Cafe und liest Dostojewskij vor! Was schreib ich bloß bei Ausstattung?“ Groß war die Not, bis der Chefredakteur, er halt wieder, die Lösung verriet: Ausgestattet mit Getränken und Gebäck, lauschen die Zuhörer ihrem Vorleser.

Aber auch der Konzerttest hat, bei aller Eilfertigkeit, seine kontemplative Heiterkeit bewahrt, vor allem in punkto Botschaft, wo es zum Beispiel nach schöner Vätersitte gerne auch heißen darf: Sich selbst und seiner Musik treu bleiben. Der Kunsttest hat in der verwandten Spalte Was will uns der Künstler sagen noch

hierhin bitte

die Abbildung von der

Zeitschriftenseite

(mit Rahmen, wenn's geht!)

viel ungehobenere Schätze verborgen: „Ich wollte wissen, wie das ist, wenn man springt“, sagt sie über die Thematik, das Sich-fallen-lassen und den Moment danach, den Moment des Aufrappelns und Knochenzählens vermutlich, dem ergreifender noch nicht gehuldigt ward. Lauter solche Funde sind zu machen in all den praktischen Fächern; diese aber sind die eigentliche Revolution. Die Entwicklung des Kritiksystems in offener Regalbauweise ist die Tat, welche nur Neuerer kennt und schmähliche Epigonen wie demnächst uns.

Wir aber werden nicht vor der letzten Eskalation zurückschaudern wg. Schiß! Wir werden unsre Leser auf dem Weg zum Metropolenspießer mit keinerlei Text mehr aufhalten; wir werden all diese Rubriken von Werk & Bedeutung bis Lohnt die Eintrittskarte nur noch mit kleinen netten Bildchen füllen, wo man alles auf den ersten Blick hat. Drei Varianten dürften zur Aufbereitung unsrer Testresultate genügen: das Strahlemännchen, das Fragezeichen und das Arschgesicht. Manfred Dworschak

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