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„Hast du gerade ,Schwein‘ gesagt?“ Von Philippe André

Wir lieben die langen dunklen Spätherbst- und Wintertage, nicht wahr? Denn nun kann man ausspannen, die Füße hochlegen und sich – endlich! – zu Hause fühlen; sich seinen Lieben widmen.

Seit Stunden waren wir schon monopolymäßig zugange. Die heimtückische Tat ereignete sich aber erst, als ich kurz mal austreten mußte. Kaltblütig hatte mein Sohn die Situation genutzt. Mit ein paar billigen Schmeicheleien hatte er seine Mutter, seine Tante und meine Schwester um den Finger gewickelt. Als ich zurückkam, fraßen sie dem Elfjährigen gleichsam aus der schmutzigen kleinen Hand. Und dann erkannte ich erst das wahre Ausmaß der widerlichen Korruptionsaffäre. Meine eigene Schwester hatte ihm in devoter Hörigkeit die Bahnhofstraße für lächerliche 20.000 geschenkt. Etwas in mir zerbrach.

Aber nicht lange. Bald schon geriet ich auf steifen Erfolgskurs. Ich kaufte, lieh und sackte ein, was das Zeug hielt, lachte laut und naß, scherzte aufgeräumt, bereicherte mich hemmungslos und registrierte eher amüsiert den Ekel der anderen, als mir hin und wieder ein paar aus purer Spielfreude entstandene Speichelfäden auf die Badstraße hinunterliefen.

Und dann landet meine Gattin auf der Goethestraße, die ich in geschickten Verhandlungen erwerben und mittlerweile schwer bebauen konnte. „24.000“, raune ich mit meinem zartesten Lächeln. Sie fleht, bettelt, winselt. Ich bleibe freundlich, aber beinhart, genieße ihre schlimme Notlage in vollen Zügen. Mein Sohn murmelt etwas. Ich horche auf. „Hast du gerade ,Schwein‘ gesagt?“ verlange ich scharf zu wissen. Er grinst verstohlen, sagt nichts. Meine Frau bietet mir ihr ganzes Geld und ein paar Popelstraßen, Chaussee-... und so'n Quatsch. Etwas übermütig geworden, rülpse ich meine Ablehnung hervor. Jetzt höre ich es ganz deutlich: „Schwein!“ Ausgerechnet meine Schwester! Sie, die grausame Herrin über den roten und grünen Block. Unverschämt!

Erfolgreich treibe ich im weiteren Verlauf meine Frau in den sicheren Ruin und verfolge meine Schwester mit unnachgiebiger Härte. Alles sieht prima aus, aber dann – zweimal hintereinander auf die Schloßallee – wendet sich mein Blatt. Unversehens bin ich arm wie eine Kirchenmaus. Ein dummer Pasch bringt mich ein drittes Mal drauf, ich koche vor Wut. „54.000!“ Die Stimme meines Sohnes klingt scharf und gefroren. Eine tiefe, schmerzliche Trauer ergreift Besitz von mir. Was habe ich falsch gemacht? Dennoch biete ich ihm alle vier Bahnhöfe. Er lacht schallend, nennt mich einen „Trottel“. Das ist zuviel. Was nun? Ein letzter Versuch: „Ich verdopple dein Taschengeld!“ lüge ich. Er glaubt mir nicht, heißt mich gar „elender Lügner“. Es reicht! Feierlich erhebe ich mich. „Mit solchen Menschen spiele ich nicht“, sage ich mit zittrig ersterbender Stimme, beobachte aber aus den Augenwinkeln aufmerksam, wie die Variante ankommt. Es klappt. Mein Kleiner schaut schon ganz mitleidig, bald wird er mir die Schloßallee schenken, denke ich.

Tut er aber nicht. Als ich eine Stunde später entnervt aussteige, schulde ich dem Wucherer zwei CDs und mein Lieblings-T-Shirt. Heute nacht werde ich dieses Spiel verschwinden lassen. Es deformiert den Charakter.

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