■ Allmachtsphantasien, als Mitleid getarnt: Hauruck in Somalia
Diplomaten und UN-Vertreter geben heute durchaus zu, daß es in Somalia vermutlich niemals so weit gekommen wäre, hätte das Ausland nach dem Sturz des Diktators Siad Barre im Januar 1991 Hilfe beim Aufbau der zerstörten Infrastruktur geleistet. Damals habe sich aber irgendwie niemand für das Thema interessiert.
Jetzt ist das anders, und nun wollen die Spender auch rasch Erfolge sehen. Die Plünderung von Hilfsgütern und die Verbrechen der Kriegsfürsten könnten nicht länger hingenommen werden. Internationale Truppen müßten „durchgreifen“ und Hilfsoperationen notfalls mit Gewalt sichern. Andernfalls sei zu erwägen, ob sich ausländische Organisationen gänzlich aus Somalia zurückziehen sollten. Die Geduld der Welt sei erschöpft.
Eine Krise, die sich über Jahrzehnte hinweg entwickelte, soll nun im Hauruck-Verfahren gelöst werden. Jahrelang erlebte die Bevölkerung staatliche Autorität vor allem als Instrument der Unterdrückung. Wären nach Siad Barres Sturz vom Ausland Mittel für die Wasserversorgung, die Räumung von Minenfeldern und die Schaffung von Arbeitsplätzen zur Verfügung gestellt worden – vielleicht wäre bei der Bevölkerung allmählich Vertrauen in eine Zentralregierung entstanden. Doch diese Chance wurde verpaßt. Die Zersplitterung Somalias in kleinste Fraktionen und Clans ist nun lediglich eine Rückkehr zur traditionellen Struktur der nomadisch geprägten Gesellschaft. Viele Somalis mögen die Kriegsfürsten hassen und ein Ende der Kämpfe herbeisehnen. Das aber bedeutet nicht, daß nicht auch weiterhin die Loyalität der Mehrheit dem eigenen Clan gilt.
Was könnten Zehntausende ausländischer Soldaten daran ändern? Wie soll von außen ein Verteilungskrieg beendet werden, wenn die Bevölkerung außer ihrem Leben nichts mehr zu verlieren hat? UNO-Repräsentanten geben hierauf keine Antwort. Sie sprechen von humanitärer Nothilfe und dem Einsatz militärischer Mittel – vom Aufbau der somalischen Infrastruktur ist immer noch ganz selten die Rede. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts mögen tatkräftige Politiker, weitab vom Ort des Geschehens, nichts davon hören, daß es Krisen gibt, die sich nicht ad hoc beheben lassen und wo nach unspektakulären, bescheidenen Wegen der Hilfe gesucht werden muß. Allmachtsphantasien tarnen sich als Mitleid mit den Ärmsten der Armen.
Diesem Mitleid sind übrigens durchaus Grenzen gesetzt. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge befürchtet Todesfälle, wenn nicht noch vor Jahresende mehr Geld für hilfesuchende Somalis in Flüchtlingslagern zur Verfügung gestellt wird. Aber in diesem Zusammenhang läßt sich kein schlagzeilenträchtiger Ruhm gewinnen. Die Heuchelei ist kaum noch zu ertragen. Bettina Gaus, Nairobi
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