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Raus aus dem Atomzeitalter!

Ende 1942 haben Forscher des US-Atombombenprogramms erstmals einen Reaktor angefahren/ Inzwischen strahlen weltweit rund 500 Meiler  ■ Von Franz Alt

Heute vor 50 Jahren hat die Menschheit das atomare Feuer entzündet. Am 2.Dezember 1942 wurde in Chicago der erste Atomreaktor der Welt hochgefahren.

Die Schreckensbilanz von 50 Jahren Atomzeitalter nach einer Rechnung der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“: 300.000 Tote durch Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, 400.000 Krebstote durch Verstrahlung nach Atomtests und 50.000 Tote durch Tschernobyl. Der Direktor für die Aufräumarbeiten in Tschernobyl, Wladimir Tschernosenko, schätzt, daß dieser GAU langfristig eine Million Menschen durch Strahlenschäden das Leben kosten wird. Wenige Tage nach der Katastrophe sagte der „Sicherheitsexperte“ der Internationalen Atomenergiekommission, Morris Rosen, die Atomenergie müsse auch dann weiterbenutzt werden, wenn jedes Jahr ein Tschernobyl-Unfall passiere.

Heute ist die Atomindustrie wieder im Aufwind. In einem beispiellosen Propagandafeldzug wird seit Monaten in Anzeigen zum Beispiel behauptet: „Wer global gegen CO2 ist, muß lokal für Kernkraft sein.“

Mit unseren Stromgebühren geben sich die deutschen Stromerzeuger besorgt um das Weltklima. Doch wenn wir in die atomare Hölle eines jederzeit möglichen großen Unfalls, zum Beispiel in Biblis, hinabsteigen, werden wir wirklich gefeit gegen die Atom- Propaganda. Was also sind die Folgen eines GAU in Biblis?

Wladimir Tschernosenko hat die Frage, ob die deutschen AKWs tatsächlich so viel sicherer seien als die russischen, so beantwortet: „Sie explodieren etwas später!“

Ein GAU in Biblis also

–wird einen großen Teil der BRD für Jahrhunderte unbewohnbar machen.

–Frankfurt, Offenbach, Wiesbaden, Mainz, Hanau und Worms sind zerstört.

–Die Hälfte der Deutschen ist arbeitslos.

–Die Bevölkerung des gesamten Rhein-Main-Gebiets will fliehen – ohne jede Chance.

–Tausende sind sofort tot.

–Ein Großteil der Deutschen wird verarmen.

–Die deutschen Aktien fallen ins Bodenlose.

–Wir haben sofort eine galoppierende Inflation.

–Es gibt millionenfach Erbgutschäden und mißgebildete Kinder für viele Generationen.

–Millionen stellen Entschädigungsforderungen. Erfolglos übrigens, denn keine Versicherung der Welt versichert ein AKW.

Dies ist ein realistisches Szenario. Im Dezember 1987 war es in Biblis zu einem gravierenden Störfall gekommen. Eine internationale Expertenkommission kam zu dem Schluß, daß der größte Unfall nur durch einen technischen Zufall vermieden wurde. Robert Pollart, ehemaliges Mitglied der US- Atomaufsichtsbehörde: „Was in Biblis geschah, ist genau jener Typ von Unfall, von dem die Betreiber behaupten, er sei nicht möglich.“

In fünf Jahrzehnten Atomzeitalter sind vier große Unfälle passiert. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß auch in diesem Jahrzehnt wieder ein GAU stattfindet. Alle politischen Lager in Bonn versichern: Beim nächsten GAU ist wirklich Schluß. Warum um Himmels willen erst danach?

Atomkraftwerke gefährden alles Leben auf unserem Planeten. Die zirka 500 AKWs produzieren weltweit etwa zwei Prozent des gesamten Energieverbrauchs. Wenn wir Öl, Kohle und Gas durch Atomkraft ersetzen wollten, müßten wir zirka 50 Jahre lang jede Woche zwei AKWs à la Biblis bauen. Also fünfzigmal soviel „Restrisiko“ wie heute? Also fünfzigmal soviel Atommüll wie heute mit einer ungelösten „Entsorgung“? Also fünfzigmal soviel Strahlentote beim Uranbergbau? Atomkraft statt Öl und Kohle ist ein politsches Selbstmordprogramm! Das berüchtigte Restrisiko ist exakt jenes Risiko, das uns den Rest geben kann.

Die Alternative ist längst bekannt, aber nicht erwünscht. Die Herren und Damen müßten umdenken, und die Energiemonopolisten würden ihre Pfründe verlieren, wenn die regenerativen und umweltfreundlichen Sonnenenergiequellen endlich ihren Durchbruch erleben würden. Der neue Energiemix für das 21. Jahrhundert heißt: Sonne, Wind, Wasser und Biomasse.

Die Energiepolitik ist im Treibhauszeitalter zur Überlebensfrage der Menschheit geworden. Es gibt in den nächsten Jahrzehnten kein wichtigeres Problem in der Weltpolitik. Wenn wir den alten Energiemix nicht durch den neuen ersetzen, dann stehen schon bald nicht mehr Hunderttausende Asylsuchende pro Jahr, sondern Dutzende Millionen Öko-Flüchtlinge Jahr für Jahr an unseren Grenzen.

Atomstrom und Energie aus Kohle und Öl sind nicht billig, sondern teuer, wenn die Umweltkosten mitberechnet werden. Ein Liter Benzin müßte mindestens sechs Mark kosten. Strom und Wärme aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse sind nicht nur ungefährlich, sondern schon mittelfristig auch billig, weil umweltverträglich. Die billigste Energiequelle ist sicher das Energiesparen. Aber auch die Restenergie kann und muß umweltfreundlich und klimaverträglich produziert werden.

Sonnenenergie in Kalifornien, Windenergie in Dänemark und Bioenergie aus nachwachsenden Rohstoffen wie Schilfgras in Bayern sind schon heute billiger als Atomstrom. Langfristig ist Atomstrom nicht nur die gefährlichste, sondern auch die teuerste Energie. „Schilfgras statt Atom“ wird von vielen nur belächelt, weil sie sich kaum vorstellen können, daß die Natur selbst Lösungen bietet, an die wir nicht mehr geglaubt haben.

Schon heute kann Bioenergie billiger produziert werden als Atomstrom – und umweltfreundlich sowie arbeitsplatzintensiv für die gebeutelte Landwirtschaft ohnehin. In der Steiermark werden 1992 15 Prozent der gesamten Energie allein aus Abfallprodukten der Landwirtschaft gewonnen. Bauern werden Energieproduzenten der Zukunft. Jeden Tag wächst weltweit zehnmal mehr Biomasse, als wir insgesamt für Energie brauchen. Und die Sonne schickt uns auch am heutigen 2.Dezember 10.000mal mehr Enerige, als weltweit gebraucht wird. Wir setzen fatalerweise noch immer auf gefährliche Atomkraft und klimazerstörende fossile Energie anstatt auf die kostenlosen „Geschenke des Himmels“.

Wenn die Politik dezentrale Energiestrukturen schafft, indem sie das veraltete Energiewirtschaftsgesetz aus dem Jahr 1935(!) ändert und endlich Energiesparanreize mit Hilfe einer CO2-Steuer einführt, dann wird die Energiewende möglich. Atomstrom ist danach sehr schnell überflüssig. Schilfgras, auf den brachliegenden Flächen in Deutschland angebaut, bringt soviel Energie wie alle AKWs zusammen. Die Atombombenpolitik im Irak und in Pakistan, in Südafrika und Israel zeigt: Nur die Abschaffung aller Atomwaffen schützt vor ihrem Einsatz. Tschernobyl, Sellafield und Harrisburg zeigen: Nur die Abschaltung aller AKWs schützt uns vor dem nächsten GAU.

Fünfzig Jahre Tanz auf dem Atomvulkan sind mehr als genug. Abrüsten und abschalten ist nicht nur nötig, sondern auch möglich. Die derzeit arg verunsicherten Umweltbewegungen werden nur dann Erfolg haben, wenn sie nicht nur deutlich machen, wogegen sie kämpfen, sondern auch, wofür sie arbeiten. „AKW nee“ – das ist noch kein Zukunftsprogramm. Raus aus dem Atomzeitalter heißt: Arbeiten fürs Jahrhundert der Umwelt.

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