: Mölln hätte verhindert werden können
■ Aber Jugendrichter lehnte Tage vorher Haftbefehl für Michael Peters ab
Mölln (taz) – War die Justiz auf dem rechten Auge wieder einmal sehbehindert? Michael Peters, der gestanden hat, in Mölln zwei Häuser türkischer Familien angezündet zu haben, war schon seit Wochen dringend verdächtig, mit Brandsätzen gegen Fremde vorzugehen. Doch einem Lübecker Jugendrichter reichten die Beweise nicht aus. Er ließ Peters auf freiem Fuß.
Am 5. und 6. September 1992 überfällt Peters Asylwohnheime in Pritzier und Gudow. Eine Sonderermittlungsgruppe der Lübecker Polizei, die Gewalt gegen Ausländer untersucht, präsentiert der Staatsanwaltschaft einige Wochen später vier Tatverdächtige. Einer von ihnen ist Michael Peters; die drei anderen gehören zu seiner Gruppe, von denen letzte Woche zehn festgenommen wurden. Einer von ihnen, Lars Christiansen, hat sich gestern die Pulsadern aufgeschnitten, er wurde aber gerettet. Am Dienstag, dem 17. November, beantragt die Staatsanwaltschaft bei einem Jugendrichter am Amtsgericht Haftbefehl gegen die vier: dringender Tatverdacht auf versuchten Mord und Landfriedensbruch.
Der 18. November ist Bußtag, also Feiertag. Am 19. November fragt Staatsanwalt Möller beim Richter nach, die Sache sei eilig. Doch der Richter fordert noch weitere Ermittlungen, der dringende Tatverdacht scheint ihm nicht gegeben. Sonntag nacht brennt es in Mölln.
Montag nachmittag zieht Staatsanwalt Möller seine Anträge zurück. Einen Tag später wird Peters vorläufig festgenommen. Außer den Überfällen in Pritzier und Gudow am 5. September wird ihm eine am 12. September in Kollow vorgeworfen. Am Mittwoch bekommt Staatsanwalt Möller dann doch noch überraschend den Haftbefehl wegen der Septemberanschläge – ausgestellt von einem anderen Richter. Fünf Tage später gesteht Peters auch die Tat in Mölln.
Ob Peters den Ermittlern im rechtsradikalen Umfeld schon früher aufgefallen war, wollte die Staatsanwaltschaft gestern nicht sagen. Den Fahndern im Bereich „Jugendgruppenkriminalität“ bei der Kripo Lübeck waren er und Lars Christiansen angeblich kein Begriff.
Warum hatte der Jugendrichter solche Skrupel, Peters wegen Pritzier und Gudow festzusetzen? Oberstaatsanwalt Bruhn zur Frage, ob politische Gründe den Richter beeinflußt haben könnten: „Kein Kommentar!“
Kollegen im Amtsgericht nehmen den Zauderer in Schutz: ob genügend Gründe für einen „dringenden Tatverdacht“ vorlägen, stehe in der freien Entscheidung des Richters. Man könne sich unter den Richtern nicht vorstellen, daß Verständnis für die Täter eine Rolle gespielt habe.
Lübecker Polizeikreise gehen noch weiter: nicht die Strafverdächtigen von rechts, sondern die von links würden milder behandelt. Auf Rechte werde „ungehemmt eingeprügelt“, denn mit diesen Jungs – meist nicht sehr helle und ohne Beistand eines Anwalts – könne man „alles machen“. Bascha Mika
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