: "Mir ist schlecht"
■ Fachtagung "Gesundheit und Schule" in Bremen / Es geht nicht mehr nur ums Raucherbein
„Mir ist schlecht“
Fachtagung „Gesundheit und Schule“ in Bremen / Es geht nicht mehr nur ums Raucherbein
Wenn man einen Erwachsenen fragt, welches Unglück ihn am schlimmsten belasten würde, hört man: der Tod des Partners. Fragt man ein Schulkind, erhält man erschreckend oft die Antwort: ein „blauer Brief“.
Der seelische Druck auf Kinder, die dauerhaft vom Sitzenbleiben bedroht bedroht sind, ist enorm und kann zu erheblichen gesundheitlichen Störungen führen. „Gesundheit und Schule“ hieß eine Fachtagung mit LehrerInnen und WissenschaftlerInnen, die gestern am Wissenschaftlichen Institut für Schulpraxis (WIS) in Bremen stattfand. Ein Ergebnis: Die traditionelle Gesundheitsförderung an der Schule, die sich im Biologieunterricht um Infektionskrankheiten und das Raucherbein kümmerte, ist out. Die Schulkinder der 90er leiden unter angefressenem Selbstbewußtsein, sozialer Desorientierung, Leistungsdruck und allerlei psychosomatischen Beschwerden. Die „Gute Schule“ muß darauf reagieren.
Kreideweiß stehen ihre SchülerInnen morgens oft vor ihr: „Mir ist schlecht!“ Frau Schmuhl-Blendermann unterrichtet am Schulzentrum Helsinkistraße Elf- bis Dreizehnjährige. „Ich halte oft die Luft an, was die über ihre familiären Verhältnisse erzählen,“ sagt sie und berichtet von prügelnden Eltern, Scheidungskatastrophen, drogensüchtigen Geschwistern. Folge: Schlafstörungen, verbreitete Kopf- und Magenschmerzen, Allergien... Und droht ein Ausfall wegen Grippe, sind die Eltern heute unglaublich schnell mit Pillen zur Hand — es darf ja nichts verpaßt werden. Fachleute sprechen bereits von der „Tablette als neuer Droge“.
Einer der Fachleute heißt Klaus Hurrelmann, ist Soziologe in Bielefeld und Stressforscher. Er erkannte in seinem Vortrag als Stressfaktor die Ein-Eltern-ein- Kind-Familie, die auf dem besten Weg zum Regelfall ist. Wichtig: immer weniger Kinder haben außerschulisch Kontakt zu Gleichaltrigen. Schon eher zur Medienwirklichkeit der Glotze.
Jürgen Thal, Fachleiter Gesundheitserziehung am WIS, faßte die Forderungen an eine „Gute Schule“ zusammen: Es muß Rückzugsecken in der Schule geben. Die Schüler müssen — insbesondere Montags nach dem TV-Wochenende — Zeit „zum Ankommen“ haben. „Sanftes Lernen“ heißt das neue Stichwort zum Stressabbau zwischen Schülern und Lehrern, eine Lerntechnik mit Entspannungsübungen und „Phantasiereisen“.
Alles dient der Gesundheit. Dazu gehören sicher auch neben neuen Unterrichtsinhalten gesundes Schulessen (Kinder kommen kaum noch mit Broten an, viele frühstücken nie), kein Asbest, gute Möbel. In Bremen boomen immerhin schon Öko-Cafeterien.
Auch im WIS gab's gestern ein Öko-Buffet von SchülerInnen des SZ Blumenthal. Immerhin fast 200 der 5.000 Bremer LehrerInnen waren hergekommen, zwecks Fortbildung. „Sie kommen, wenn sie was davon haben,“ wußte Thal. Er meinte nicht nur das Buffet. Bus
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