: Elftes Gebot für Investoren
■ Auf der ehemaligen Stülcken-Werft entsteht ein Büro-Center für 1200 White-collar-Beschäftigte
entsteht ein
Büro-Center für 1200 White-collar-Beschäftigte
„Hier wird Zukunft geschrieben!“ Oberbaudirektor Egbert Kossak weist mit weitausholender Handbewegung durch das Panoramafenster im Hafenclub an den Landungsbrücken auf die andere Elbseite: „Hier wird es uns gelingen, der Hauptfassade der Stadt wieder ein Gesicht zu geben.“ Ein riesiges Bürozentrum, neudeutsch „Harbour Business Point“, 135 Millionen Mark teuer, wird hier ab 1993 entstehen. 36000 Quadratmeter Bürofläche, ein Restaurant und ein eigener Schiffsanleger mit Pendelverkehr zu den Landungsbrücken im Zehnminutentakt — Hamburgs Bürowelt setzt einen ersten markanten Fuß auf die Südseite der Elbe.
Dort liegt heute vor allem Sand. Eine Lagerhalle, Stellplätze für 40-Tonner, ein bißchen Straße, ein bißchen Schiene. Hier lag einst die 1840 gegründete Stülcken-Werft. Kossak mit einem kleinen ironischen Schlenker: „Uns wäre eine neue Werft lieber gewesen.“ Der Strukturwandel will es anders. So darf nun eine gemäßigte Büro-Post- Post-Moderne (so schnell vergeht die Architekturmodezeit) die Elbe wieder zu dem machen, was sie laut Kossak sein sollte: „Das Herz Hamburgs. Wir wollen auf die Elbe orientierte Arbeitsplätze schaffen.“
Bei der Verwirklichung des riskanten Projekts, das auf Mieteinnahmen von insgesamt mehr als zehn Millionen Mark pro Jahr spekuliert, gingen Stadt und Investoren neue Wege. Anders als bei der Kehrwiederspitze, wo sich die Stadt dem Investor beugte und ein Stück aus dem Hafen per Gesetz herausschnippelte, damit der Bürospekulatius Grundeigentümer werden konnte, bleibt der Stülcken-
1friedhof Stadtstaatseigentum wie das gesamte Hafengelände. Investoren dürfen zwar bauen, aber keinen Boden besitzen.
Das hat für die Hafenfirmen gemeinhin enormen Nutzen: Die Stadt spendiert die gesamte Infrastruktur, kümmert sich um Flutschutz und Kaimauern, saniert vorher fürsorglich den Dreck der vorigen Geländenutzer und, schönstes Geschenk, verlangt dafür Pachtzinsen, die den Buchhaltern der Hafenfirmen Freudentränen in die Au-
1gen treiben. Einziger Haken: Das Gelände bleibt der Bodenspekulation entzogen. Die Pachtverträge mit 30jähriger Laufzeit werden zwar meist, aber eben nicht mit 100prozentiger Sicherheit verlängert. Das nervt die Banken. Sie geben gemeinhin Hypotheken und Kredite nur für echten Eigenbesitz. Im Fall des neuen Bürogiganten gab sich die Stadt deshalb kreativ: Sie sicherte das Investment derart lukrativ ab, daß für Investoren und Banken kein Risiko mehr besteht.
1Ein Insider: „Wird der Pachtvertrag nach 30 Jahren nicht verlängert, wird das für die Stadt ganz schön teuer.“ Auch eine andere Klippe umschiffte man elegant und lukrativ: Eigentlich darf im Hafen nur „hafenbezogene Nutzung“ stattfinden. Ob man damit die Büromauer wirklich vollkriegt? Wohl kaum. Man wird das deshalb alles in der Praxis nicht so eng sehen. Ein anderer Insider: „Dann ergänzen wir eben die zehn Gebote durch ein elftes.“ Florian Marten
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