: Schulfernsehen
■ Geschichtsunterricht mit „Indiana Jones“, jeweils Sonntag, 17.30Uhr, Sat.1
Daß der Begriff „Bildungsmisere“ in bezug auf US-amerikanische Verhältnisse beinahe einem Euphemismus gleichkommt, ist längst zur Binsenweisheit geworden. Einer von Gary Burns zitierten Untersuchungen zufolge sind 25 Prozent aller College-ExamenskandidatInnen nicht in der Lage, marxistische Theoreme von den Verfassungsartikeln der Vereinigten Staaten zu unterscheiden. 42 Prozent vermochten nicht, den amerikanischen Bürgerkrieg der korrekten Jahrhunderthälfte zuzuordnen. 75 Prozent sahen sich außerstande, den Persischen Golf auf einer Weltkarte zu lokalisieren.
Ist das Bildungsniveau schon unter College-AbsolventInnen derart niedrig, läßt sich leicht ausrechnen, wie es um das Allgemeinwissen unterprivilegierter US-BürgerInnen bestellt sein muß. Gerade jene, so haben Studien ergeben, sind es, die die meiste Zeit vor dem Fernseher verbringen.
Folglich erörtern US-amerikanische BildungspolitikerInnen und MedienwissenschaftlerInnen seit geraumer Zeit, ob und wie populäre TV-Programme zur Vermittlung von Allgemeinwissen eingesetzt und ob soziales Verhalten und politisches Bewußtsein via Bildschirm günstig beeinflußt werden können. Die Untersuchung der „Task Force on Television and Society“ der American Pschychological Association bejaht diese Frage: „Fernsehsendungen können effektiv genutzt werden, um kognitive Fähigkeiten und soziales Verhalten zu vermitteln.“
Nicht erst seit Veröffentlichung dieses Berichts ist festzustellen, daß die AutorInnen von US-amerikanischen TV-Movies und TV- Serien Problembewußtsein entwickelt haben und gerade in den publikumswirksamen narrativen Texten des Unterhaltungsprogramms sozial relevante und politische Themen aufgreifen. George Lucas versucht mit seiner TV-Serie „Die Abenteuer des jungen Indiana Jones“ die Vermittlung dessen, was die VerfasserInnen der oben erwähnten Studie „the excitement of learning“ genannt haben. Jede Episode ist in eine Rahmenhandlung gefaßt, in der der 93jährige „Old Indy“ wechselnden Zuhörern eine Lektion in Sachen Ethik erteilt, indem er eines seiner Jugenderlebnisse als Fabel, als modernes Märchen zum besten gibt. Die Rückblenden führen in die Jahre zwischen 1908 und 1917. Zufällig gerät der junge Henry Jones, wie einst schon die Zeitreisenden der Serie „Time Tunnel“, immer an geschichtsträchtige Orte und begegnet historischen Persönlichkeiten wie Lenin, Freud, Picasso und Schweitzer. Bewußt hebt sich die Dramaturgie von den aktionsbetonten Kinofilmen der Indiana- Jones-Trilogie ab, ist dialoglastiger und läßt den Figuren Raum, sich zu entwickeln.
Im Vorfeld der Produktion wurde ausgiebig recherchiert, um das jeweilige historische Umfeld exakt wiederzugeben. Moderne Computertechnik macht notwendige Bildmanipulationen möglich: Wenn das Riesenrad im Wiener Prater heute weniger Gondeln hat als zur Zeit der Jahrhundertwende, wird die entsprechende Anzahl in der Post-Produktion hinzugefügt.
Überhaupt beschritten George Lucas, sein Produzent Rick McCallum („The Singing Detective“) und ihr Team neue Wege der TV-Produktion. Minutiöse Logistik, die Beschäftigung lokaler Crews und neue Technologien erlaubten es, 17 Sendestunden für 27 Millionen Dollar zu produzieren. Ohne Einbußen an Qualität hinnehmen zu müssen, unterbot Lucas die Kosten des gut zweistündigen Kinofilms „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“, der den Abschied des draufgängerischen Archäologen von der Leinwand markierte, um fünf Millionen Dollar. Damit hat Lucas im Bereich der TV-Serie in mehrerlei Hinsicht neue Maßstäbe gesetzt. Auch was die Qualität der Inszenierung betrifft, denn Lucas engagierte nicht die Fließbandarbeiter gängiger Serienproduktionen, sondern eine internationale Riege renommierter RegisseurInnen – die Briten Nicolas Roeg und Terry Jones, den Schweden Bille August, die Inderin Deepa Mehta und den Argentinier Rene Manzor. Schade nur, daß manche Folge des Schulfernsehens so aufgesetzt und plakativ wirken muß. Harald Keller
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