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Horror vor der Willkür

■ Gespräch über medialen Jugendschutz und Zensur mit Hans J. von Gottberg (FSK)

Der Pädagoge Hans Joachim von Gottberg ist ein mit dem Jugendschutz beauftragter Ländervertreter bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK). Anlaß für das taz-Gespräch ist der kürzlich vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verkündete „Freispruch“ für den verbotenen Zombiefilm „Tanz der Teufel“, der angeblich die Würde des Menschen verletzt haben soll. Grob ausgedrückt haben die Richter entschieden, daß Zombies keine menschliche Würde besitzen. Sie wichen aber der Frage aus, ob ein Film grundsätzlich die Würde des Menschen verletzen kann.

taz: Ist das Urteil des Verfassungsgerichts ein Rückschritt?

von Gottberg: Rückschritt ist nicht der richtige Ausdruck. Es war jedoch nicht das, was viele Liberale sich erhofften, daß nämlich der Paragraph 131 [Verletzung der menschlichen Würde durch Gewaltverherrlichung und -verharmlosung, d. Red.] als solcher als verfassungswidrig verworfen werden würde. Einem anderen Kritikpunkt, daß 131 gegen das Zensurverbot in Artikel 5 verstößt, konnte ich mich ohnehin nie anschließen. Das Grundgesetz verbietet zwar die Zensur, doch ist damit nach eindeutiger Rechtsauslegung die Vorzensur gemeint. Das verfassungsrechtliche Problem sehe ich in der Unbestimmtheit der Tatbestandsmerkmale. Das führt in der Praxis dazu, daß es darauf ankommt, wie ein Richter – der in der Regel nichts von Film versteht– subjektiv die Dinge sieht. Bei der Bundesprüfstelle [einer staatlichen Institution zum Zwecke des Jugendschutzes, d. Red.] entscheiden zwölf sachkundige Personen mit Zweidrittelmehrheit über eine Indizierung. Hier bleibt es einem einzelnen Richter überlassen, ob ein Film total verboten wird.

Ist Nachzensur nicht auch verwerflich?

Nach der Verfassung ist nur die Vorzensur verboten. Die Einschränkung der Medien durch Jugendschutz- und allgemeine Gesetze ist im Grundgesetz expressis verbis aufgeführt. Hier obliegt es dem Gesetzgeber, die Medien so zu beurteilen, wie sie konkret sind. Ich persönlich denke– ich spreche hier für mich und nicht für die Behörden –, daß die Selbstkontrolle insofern eine Zensurbehörde ist, als daß kaum ein Film ohne FSK- Zeichen auf den Markt zu bringen ist. Das heißt, aus wirtschaftlichem Zwang heraus ist jeder Filmverleiher mehr oder weniger gezwungen, zur FSK zu gehen. Es gibt nur wenige Filme, die ohne FSK-Zeichen auf den Markt gekommen sind. Theoretisch kann jeder einen Film auf den Markt bringen, ohne ihn bei der FSK vorgelegt zu haben. Einen Zwang, zur FSK zu gehen, gab es nie. Doch der Filmwirtschaft ist es lieber, einen Film im voraus so zu „bearbeiten“, so zu kürzen, daß er dann ohne strafrechtliche Probleme läuft. Daraus hat sich entwickelt, daß die Kinos das Risiko, einen nicht FSK-gekennzeichneten Film zu zeigen, aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen nicht mehr eingehen.

Kann ein Film die Würde des Menschen verletzen?

Ich persönlich kann damit nichts anfangen. Meine Probleme bestehen vor allem darin, daß der Paragraph 131 insgesamt – was die konkrete Anwendung angeht – einen zu weitgehenden Raum für Auslegungen läßt. Wenn ein Richter, der nicht unbedingt ein Filmverständnis hat, ein Urteil spricht, hat er einen aus Willkür gewonnenen Spielraum.

Manche Filme setzen sich ironisch mit Gewalt auseinander. Sie stehen zudem über Zitate in einem Kontext zu anderen Filmen...

Gerade der Horrorfilm arbeitet viel mit Zitaten. Wenn ich aber die Filme, aus denen zitiert wird, nicht kenne, dann kann ich den parodistischen, unter Umständen die Fiktionalität von Gewalt karikierenden Charakter nicht nachvollziehen. Dann kann eben andersherum argumentiert werden, daß nicht garantiert werden kann, daß der normale Zuschauer diese Genrekenntnisse hat. Dann aber wirkt die Gewalt normalerweise abstoßend. Was mich wundert, ist folgendes: Warum kann ein Staatsanwalt auf der einen Seite sagen, die Gewalt sei so furchtbar, daß er sich eigentlich davor nur ekeln könne, auf der anderen Seite aber annehmen, daß ein anderer Mensch an dieser Gewalt Vergnügen empfindet – und von einer Verherrlichung und Verharmlosung der Gewalt ausgehen?

Woher kommen die Kräfte, die Medienverbote installieren wollen?

Das ist sehr schwer zu sagen. Anfang der 80er Jahre wurden die Menschen mit Filmausschnitten konfrontiert, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können. Das hielten die Leute nicht aus, und daraus entstand dann rein emotional das Gefühl: Wir müssen hier was tun. Man fühlte sich aggressiv stimuliert. Und die Bürger und Bürgerinnen forderten, das Problem über das Gesetz zu regeln. Im Prinzip halte ich das für sinnvoll. Nur muß man dabei Augenmaß bewahren. Was ich jetzt bei der Justiz bemängele, ist, daß sie Paragraph 131 anwendet, ohne darauf zu schauen, wie die FSK gewertet hat, die ja schon seit Jahren Erfahrung in diesem Bereich hat. Man sollte sich auch fragen, ob es einer freiheitlichen Gesellschaft zusteht, Filme völlig zu verbieten. Hinzu kommt noch der Aspekt, den wir weitgehend verdrängen: daß die Gewalt keine Erfindung der Medien und der Filme ist.

So wird aber getan...

Wenn man sich die Frage stellt, in welcher Relation eine Gesellschaft, in der es gewalltätig zugegangen ist, zu den Filmen steht, die sie hat, dann wird man nur ein umgekehrt proportionales Verhältnis feststellen. Besonders wenn wir bei unserer eigenen jüngeren Vergangenheit einhaken. In der Nazizeit gab es abolut harmlose, nette Filme. Wenn es tatsächlich so wäre, daß die Medien einen dazu bringen, dargestellte Gewalt real umzusetzen, dann wäre ich der erste, der sich für das Verbot solcher Filme einsetzen würde. Aber nach allem, was die Forschung dazu sagt, spricht dafür wenig.

CDU-Familienministerin Angela Merkel hat auf dem „Heißen Stuhl“ von RTL gesagt, daß 85 Prozent der Wirkungsforschung von einer Brutalisierung durch Medien ausgehe.

Ich halte das für wissenschaftlich völlig daneben. Sie hat sich hier vor allen Dingen in falscher Interpretation auf den Medienwissenschaftler Jo Gröbel gestützt, der ein Gutachten für die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen erstellt hat. Daß 85 Prozent der Wissenschaftler meinen sollen, Gewalt würde direkt wirken, wie Frau Merkel das in der Sendung sagte, das ist meines Erachtens blanker Unsinn. Es gibt außer Werner Glogauer keinen einzigen Wissenschaftler, der dies so bestätigen würde. Interessanterweise wollte RTL gern einen Politiker finden, der beim „Heißen Stuhl“ gegen Frau Merkel antritt. Ein Redakteur hat mir erzählt, man habe aber keinen gefunden, der dazu bereit gewesen wäre. Jeder habe Angst gehabt, dadurch ein negatives Image zu bekommen. Das macht deutlich: Die Bereitschaft zu Zensur ist wieder vorhanden. Natürlich stehe ich für einen vernünftigen Jugendschutz. Aber zur Zeit scheint es mir wichtig, zu betonen, daß wir zwischen dem Freiheitsgedanken und dem Schutzgedanken sinnvoll abwägen müssen. Interview: Manfred Riepe

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