piwik no script img

Rätselhafte Todesfälle in 'Drogenhölle Oslebs'

■ Zwei Tote in neun Tagen / Was ist los im Bremer Knast? Fahrlässigkeit im Vollzugsdienst und Erpressungen?

Zwei Männer sind innerhalb von neun Tagen in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen gestorben: Gestern morgen lag ein 40jähriger Häftling tot in seiner Zelle. Todesursache: Bislang ungeklärt. Bereits am Freitag der vorvergangenen Woche wurde der 24jährige Andreas Sommer* tot in seiner Zelle gefunden. Todesursache: Bislang unbekannt. Sind die beiden Opfer der „Drogenhölle von Oslebshausen“?

Mittlerweile liegen der taz im Falle des 24jährigen Andreas Sommer zwei Aussagen aus dem Umkreis des Häftlings vor, nach denen Fahrlässigkeiten im Vollzug oder auch Fremdeinwirkung beim Tod des Mannes nicht mehr ausgeschlossen werden können. Zunächst meldete sich ein anonymer Anrufer. Der drogenabhängige Sommer habe vor seinem Tod drei Wochen eine Hepatitis im Lazarett der JVA kuriert, bevor er am Vortage seines Todes zurück in das Haus 4 der JVA gelegt worden sei. Noch am Vorabend seines Todes habe Sommer Polamidon verabreicht bekommen, mit dem in der JVA illegal gehandelt werde. Möglicherweise sei dem Mann das Polamidon sogar zwangsweise eingeführt worden. Danach habe Sommer einen Kreislaufkollaps bekommen. Bevor er von Mithäftlingen in seine Zelle gebracht wurde, soll er sich auf der Station — ganz offiziell — Diacepan besorgt haben. Diacepan ist ein starkes Beruhigungsmittel und gehört zur gleichen Medikamentengruppe wie Speda und Rohypnol, das von Drogenabhängigen als „Beimischung“ zu Methadon benutzt wird.

Ungelöste Rätsel gibt es auch um die Entdeckung des Toten. Nach bislang unbestätigten Angaben wurde der Mann um 7.45 Uhr am Freitag morgen in seiner Zelle entdeckt. Weckzeit in der JVA ist 6.15 Uhr. Das Vollzugspersonal hat dabei die Anweisung, die Zelle aufzuschließen, den Insassen anzusprechen und eine Reaktion abzuwarten. Warum hat man den Toten nicht früher entdeckt? Oder — wenn der Mann zur Weckzeit noch lebte — warum hat man keine ärztliche Hilfe geleistet?

Ein zweiter Informant der taz ist namentlich bekannt, möchte aber anonym bleiben. „Sommer ist wahrscheinlich ermordet worden“, sagt er. Hintergrund seien Schmuggelgeschäfte „in der Drogenhölle von Oslebs“. Im Haus 4 der JVA läuft derzeit ein Modellprojekt „drogenfrei leben“. Hier blühe unter den 30 Insassen der Handel mit Stoff. Freigänger würden erpreßt, Drogen mit in den Knast zu bringen. Wer sich weigere, dessen Bekannte „draußen“ würden bedroht. Der Informant bringt den Tod Sommers unmittelbar in Zusammenhang mit solchen Erpresser-Geschichten.

Die Leiche des toten Sommer ist von der Staatsanwaltschaft obduziert worden, ein Ergebnis liegt noch nicht vor. „Die toxikologischen Befunde dauern in der Regel mehrere Wochen“, erklärte die Sprecherin der Bremer Staatsanwaltschaft, Kirsten Graalmann-Scheerer. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sei in solchen Todesfällen obligatorisch, konkret könne sie zu dem Fall noch keine Angaben machen. Auch im Falle des 40jährigen, der gestern gefunden wurde, sind Staatsanwaltschaft und Kripo eingeschaltet.

Hartmut Krieg, Leiter der Abteilung Justizvollzug und Sozialarbeit beim Justizsenator, ist zuständig für das Projekt „drogenfrei leben“ in der JVA Oslebshausen. „Es ist eine Chance für Abhängige, mit ihrem Suchtproblem aus dem Massenvollzug herauszukommen“, sagt er. Die Insassen dort hätten eine Art „Schonraum“, in dem sie mit Hilfe von Sozialarbeitern auf die Entlassung vorbereitet würden. Zu dem konkreten Todesfall konnte er sich nicht äußern. „Daß Erpressungen stattfinden, kann man aber nicht ausschließen.“ Der Handel mit Drogen sei kaum zu unterbinden, räumte Krieg ein. Für eine körperliche Durchsuchung müßten nämlich konkrete Verdachtsmomente vorliegen. „Das ist der Unterschied zu einer Untersuchung. Die können wir zwar machen, da dürfen wir den Freigängern, wenn sie wiederkommen, aber nur in die Taschen gucken.“ Nach Angaben von Anstaltsleiter Hans-Henning Hoff haben 80 Prozent aller Häftlinge in der JVA „erhebliche Suchtprobleme“, etwa die Hälfte davon nimmt harte Drogen. Markus Daschner

* Name geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen