: Nichts wird bewirkt, aber alles blockiert
Serie: Der Verkehr und die Zerstörung der Stadt (Fünfte Folge)/ Die Organisation des Verkehrssenats ist ungeeignet, wirkliche Probleme zu lösen, und arbeitet sich an Nebenzielen ab ■ Von Hans-Joachim Rieseberg
Der Verkehrssenator zerfällt zunächst einmal in zwei Teile: die Behörde und die Person. Die Behörde ist ein Ressort für Verkehr und Betriebe, sie ist wahrscheinlich das Schlüsselressort für die Zukunftsentwicklung der Stadt. Aber ihre Aufgaben sind über viele Senatsverwaltungen zersplittert: die Bauverwaltung, die Verwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, die Innenverwaltung als Zuständige für den Polizei- und Ordnungsbereich, die Wirtschaftsverwaltung, die sich für die Ansiedlung der Betriebe am kompetentesten hält, und die Finanzverwaltung, die durch den Einfluß auf die Finanzmittel wahrscheinlich relativ entscheidende Einflüsse auf die Verkehrsentwicklung nimmt, auch wenn sie das nicht zugibt.
Der klassische Konflikt mit der Verkehrsverwaltung resultiert aus der Ausbildungsstruktur ihrer Fachleute. Diese sind mehr oder weniger immer noch die klassischen Bauingenieure, sie entstammen aus dem Ressort Tiefbau, Straßenbau und allenfalls Gleisbau. Auch wenn sie teilweise auf eine Ausbildung als Ingenieure der Verkehrsplanung zurückblicken, so resultiert doch ihr Verständnis für Verkehr nicht aus dem Begriff kommunikativ, sondern aus dem Begriff Bauen und Realisieren. Für sie ist es zum Beispiel unverständlich, daß die beste Verkehrsplanung Verkehrsvermeidung sein könnte. 80 Prozent der Verkehrsprobleme ließen sich durch zukunftsorientierte Verkehrsvermeidung über Stadtplanung, Finanzplanung und Ordnungsplanung regeln. Ihnen entgegen aber arbeiten die Bauverwaltung und vor allem die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz.
Verwaltungen arbeiten gegeneinander
Aus dem Ganzen kann also eigentlich nichts Konstruktives, sondern nur etwas Destruktives werden. Die Verkehrsverwaltung plant seit den fünfziger Jahren für das Automobil, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung setzt sich für den Umweltschutz, den öffentlichen Nahverkehr, die Urbanität und den Naturschutz ein. Diese Beamten- und Angestelltengruppen kämpfen miteinander. Im Grunde findet eine gemeinsame Stadt- und Verkehrsentwicklung nicht statt. Schlimmer noch, die Senatsverwaltung, die für den öffentlichen Nahverkehr eintritt, verwaltet ihn nicht, und die Senatsverwaltung, die den öffentlichen Verkehr verwaltet, kommt aus einer traditionell gewerkschaftlich orientierten Verwaltung, sie tritt in erster Linie für die Belange der Mitarbeiter ein und hofft, daß durch zufriedene Mitarbeiter ein vernünftiger Nahverkehr entwickelt werden kann. Daß dies nicht so ist, kann man in Berlin seit 20 Jahren beobachten, nur geändert wird daran nichts.
Die Verwaltung ist geprägt von dem Untertanengeist des 19. Jahrhunderts mit einem zentralistischen Planungsideal, einer Interessenvertretung für den ADAC und einer Mythologisierung der fünfziger Jahre, während der der Glaube vorherrschte, mit dem Automobil ließe sich doch einiges machen. Darüber hinaus ist die Verwaltung in der Regel 20 Jahre hinter den Entwicklungen her. Sie beseitigte 1967 die letzte Straßenbahn, als woanders schon wieder mit der Neuinstallierung begonnen wurde, sie wollte in Berlin die S-Bahn abschaffen, als im Ruhrgebiet die S- Bahn-Planung begann, sie will heute Fahrradwege bauen, wo man längst weiß, daß man keine Fahrradwege braucht, sie baute Stadtautobahnen, als man längst erkannte hatte, daß man den öffentlichen Nahverkehr fördern muß. Theoretisch geht man eigentlich davon aus, daß eine Planungsbehörde ihrer Zeit nicht 20 Jahre hinterher, sondern 20 Jahre voraus sein müßte: Zwischen den Taten der Verkehrsverwaltung und der Realität befinden sich 40 Jahre Planungsdefizite.
Zwanzig Jahre hinter der Zeit
Eine Verkehrsverwaltung besteht aber nicht nur aus der Behörde, sondern aus dem jeweils zuständigen Senator als Person, also einer Persönlichkeit, die die jeweils herrschende Verkehrspolitik nach außen darstellen und befruchten soll. In der Zeit, als die SPD das Sagen hatte, wurden die meisten Verkehrssenatoren aus dem Gewerkschaftsflügel gestellt und vertraten mehr oder weniger einen ÖTV- Standpunkt, der zwar nicht schlecht ist, aber für die Entwicklung des Verkehrs in Berlin nichts geleistet hat. Als die CDU das Verkehrsressort übernahm, profilierten sich die Verkehrssenatoren mehr oder weniger als Vertreter des ADAC – jedenfalls stellte es sich in der Öffentlichkeit so dar – und agierten mit einem zwar dünnen, aber wählerwirksamen verkehrspolitischen Programm. All dies wäre ja nicht als Defizit aufgefallen, wenn heute nicht wirklich Verkehrsprobleme in der Stadt existent wären.
Berlin hat es verkraftet, mehr oder weniger Senatoren zu haben, die verkehrspolitisch eigentlich nichts gemacht haben, weil ja verkehrspolitisch in der Inselstadt auch nichts zu machen war. Die U- Bahnen waren schön nostalgisch, der Osten blockierte die S-Bahn, und die Autobahnen als Stadtautobahnen wurden vom Bund finanziert, die Straßen waren breit, die individuelle Motorisierung war vergleichsweise gering, Staus gab es nicht, die Bevölkerung wuchs nicht, die Gelder flossen, die Touristen hielten sich in Grenzen, es gab keinen Durchgangsverkehr, es gab kein Umland, kurz, man hätte sich den Verkehrssenator auch sparen können.
Trottel vom Dienst
Und nun diese Aufgabenfülle und eine in Ehren ergraute Verwaltung, degradiert zum Trottel vom Dienst, ein netter, umgänglicher, blasser Senator und mindestens zwei weitere Senatoren, die den Ehrgeiz haben, die Arbeit des anderen zu machen, die es aber auch nicht können und vom Ressort her auch gar nicht dürfen. Was wird also gemacht? Es wird klassisch ausgesessen. Und die Große Koalition, die eigentlich gegründet wurde, um eine breite, mehrheitsfähige Politik zu finden, ist entscheidungsunfähiger als jede noch so wackelige Minderheitsregierung. Dafür überbieten sich aber alle in der Diskussion über die Nebenziele: das Brandenburger Tor, einen neuen Straßenbahnwaggon für die BVG oder den Pilotversuch zur Bevorrechtigung von Straßenbahnen, etwas, was schon im letzten Posemuckelkaff längst gang und gäbe ist.
Wenn man nun Bilanz über die letzten 40 Jahre von Verkehrsplanung in Berlin zieht, so kommt man zu einem ernüchternden Ergebnis: Überall dort, wo Gestaltung und Zukunftsentwicklung gefragt war, ist Nostalgie vorhanden, allenfalls musealer Bestand. Überall dort, wo Kontrolle gefragt war, gibt es Mißwirtschaft und Begünstigung. Und überall da, wo das klassische Aufgabenfeld einer Behörde liegt, nämlich Genehmigungen zu erteilen und Strukturen zu schaffen, die in die Rahmen der Gesetze passen, ist Bürokratie und Langsamkeit im Gange.
Kontrolle und Kostenplanung
Die Konsequenz wäre die radikale Beschneidung der Behörden, ein Abbau des Beamtenkörpers, die Konzentration auf die eigentliche Aufgabe, nämlich Kontrolle und rechtliche Rahmensetzung, und die Übergabe der kreativen Aufgaben an private Planungsbüros, die auf einem wirklichen Markt miteinander konkurrieren. Insoweit ist es für mich auch schlüssig, die BVG in einem realen Kostenrahmen zu privatisieren und einem vernünftigen Wettbewerb auszusetzen. Das bedeutet aber vor allem, daß zur gestaltenden Verwaltung der Aufgaben des Verkehrsressorts in erster Linie das Aufzeigen von wirklichen Kostenrelationen gehört. Dabei wird zwangsweise herauskommen müssen, daß der individuelle Autoverkehr die teuerste Lösung für jeden Einzelbürger ist. Dem Einzelbürger müssen die Kosten dann aber auch wirklich einmal offengelegt und nicht verdeckt werden, wie das heute geschieht.
Von einer Verwaltung für Verkehr, die man auch künftig nicht abschaffen kann, wäre also in erster Linie Kostenplanung, in zweiter Linie Kontrolle und in dritter Linie Gestaltung des Rahmens zu erwarten. Die planende Funktion überfordert jede Verwaltung und diese ganz besonders. Man könnte das nach dem klassischen Parkinson-Gesetz auch so beschreiben: Je mehr Beamte beschäftigt werden, um so größer wird das Chaos werden. Es ist aber kein kreatives Chaos, sondern das sirupartige von klassischen Verwaltungen, die nichts mehr bewirken, aber alles blockieren.
Wenn man also eine Reform der Senatsverwaltungen anstrebt, dann sollte man die Verkehrsverwaltung auflösen und statt dessen eine gesetzlich vorgeschriebene Aufsicht schaffen, die in irgendeiner Senatsverwaltung ressortiert, aber nicht mit einem großen Heer von Beamten, sondern mit Verwaltern, die sich privater Revisionsfirmen bedienen. Die eigentliche Stadtplanung sollte ganz in das Ressort für Bau, Umwelt- und Naturschutz integriert werden, wobei aber auch hier die gestaltende Funktion nach außen verlagert werden sollte. Beamtete Planer können nun einmal nicht kreativ sein, weil die Hierarchie es nicht zuläßt und wahrscheinlich auch nie zulassen wird.
Diplom-Ingenieur Hans-Joachim Rieseberg ist Architekt, Stadt- und Verkehrsplaner und Autor mehrerer Bücher über unsere zerstörerische Lebensweise; kürzlich erschien „Arbeit bis zum Untergang“.
Die nächste Folge der Serie erscheint am Montag kommender Woche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen