Standbild: Intime Distanz
■ "Liberec ist Reichenberg" von Pavel Schnabel
„Liberec ist Reichenberg“ von Pavel Schnabel, Freitag, 21.15 Uhr, Südwest3
In Zeiten, da die öffentlich- rechtlichen Rundfunkanstalten aus der Defensive heraus immer mehr das Wort und das nicht mechanisierte, poetische Bild abschaffen, haben es Filme, wie sie Pavel Schnabel macht, schwer. Das Gewöhnliche sind eindimensionale Images, bar jeder Mehrdeutigkeit – damit die ZuschauerInnen auf Anhieb wissen, wohin die Reise geht. Schnabel beschreitet den umgekehrten Weg. Er hält die ZuschauerInnen lange im unklaren, damit diese genauer hinsehen und -hören. Reportagehaftes ist ihm fremd, er fragt auch nicht die Leute aus – er bringt sie zum Reden. Was sie da sagen, scheint weniger wichtig, als wie sie es tun. Schnabel hat einen Sinn für das Szenische im Alltag und einen distanzierten Blick, der vielleicht mit der Tatsache zusammenhängt, daß er mit seinen Filmen Regionen bereist, in denen er quasi „Ausländer“ ist. Vor gut einem Jahr tat er das in Weimar – in dem von der deutsch-deutschen TV-Öffentlichkeit zu unrecht stiefmütterlich behandelten Film „Brüder und Schwestern“. Nun ist der 1968 aus der ČSSR Ausgewanderte in seine Heimatstadt zurückgekehrt, nach Liberec alias Reichenberg in Nordböhmen. Reichenberg, die einstige Hauptstadt des Sudetengaus, war einmal deutsch und könnte es fatalerweise bald wieder sein...
Die Rede in Schnabels Film ist von der „Sudetenvertreibung“, von einer ehemals deutschen Stadt, die heute für die Tschechen wieder bedrohlich dicht am Rande des mächtigen „Mutterlandes“ liegt. Die alten Zeugen von damals, die Schnabel vor der Kamera hat, sind immer noch „Herrschaften“. Dennoch bleibt es eine angenehm leidenschaftslose Darstellung der Problematik, die angesichts deutscher Schuld lange und zurecht ein Tabu war. Schnabels Film geht Schicksalen nach. Da sind Professor Tomsa oder Tante Otti, die hier noch in der k.u.k.-Monarchie geboren wurden. Oder eine Frau Steitz aus dem Hessischen, die mit der Nichte anreist, die ein Baby war, als sie die „Heimat“ der Eltern aufgeben mußte. Und ganz nebenbei heiratet die junge Tschechin Sarka einen Achim aus Berlin.
Für Schnabel zahlt sich die Personalunion Regie/Kamera aus: die Leute schauen ihm und damit dem Zuschauer ins Gesicht; das schafft Ruhe – eine Intimität, die Journalistisches zurückdrängt. Der Südwestfunk scheint – in der Fernsehlandschaft der gefälschten „Reality“ – gut beraten, solcher Art fossilen Dokumentarfilms auch weiter einen Platz einzuräumen. Dietmar Hochmuth
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