Hunger in den Kornkammern

■ FAO-Konferenz in Rom: 786 Millionen unterernährt

Berlin (taz) – Die Länder, in denen am meisten gehungert wird, sind Agrarländer. 123 Millionen Menschen im südlichen Afrika müssen täglich mit weniger als 2.000 Kalorien auskommen. In Lateinamerika leben fast die Hälfte der 400 Millionen Einwohner unter der Armutsgrenze.

Dabei müßte theoretisch niemand hungern. Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wurden von 1988 bis 1990 genügend Nahrungsmittel produziert. Um auf diese Mißstände aufmerksam zu machen und ein Hilfsprogramm auszuarbeiten, treffen sich seit Samstag Delegationen aus 150 Ländern für eine Woche zur Internationalen Ernährungskonferenz in Rom. Mit drastischen Worten klagte zur Eröffnung der Papst den „Skandal des Überflusses“ in den Industrieländern an: Die Reichen „sollten auf die Schmerzensschreie von Millionen von Menschen hören.“

Die Regierungsdelegationen sind sich darüber im Klaren, daß die herkömmlichen Rezepte gegen den wachsenden Hunger in der Welt versagt haben. „Opas Entwicklungspolitik ist tot. Niemand geht mehr in den Urwald und baut dort mit viel Geld einen Musterbetrieb auf“, erklärt ein Sprecher aus dem Bonner Landwirtschaftsministerium. Es reiche auch nicht, einfach Getreide und Milchpulver in der Wüste abzuladen. Viel Spielraum bleibt den Entwicklungs- und Ernährungspolitikern im Kampf gegen die Unterernährung allerdings nicht: Zwar sind Themen wie Bevölkerungswachstum oder Landreform inzwischen auch in den sogenannten Entwicklungsländern nicht mehr tabu. Doch dies heißt noch lange nicht, daß ein UNO-Hilfsprogramm die Regierungen dieser Staaten auch zu einschneidenden politischen Veränderungen motiviert.

Eine wesentliche Ursache der katastrophalen Ernährungslage in einigen Ländern ist die Lust auf Fleisch in den Industrienationen. Dafür werden weltweit immer mehr Felder und Wälder in Weidegründe für Rinder umgewandelt. Von der Weltgetreideernte gehen nach den Statistiken etwa 38 Prozent in die Futtertröge. Vor allem Mastbetriebe in den reicheren Ländern verfüttern Unmengen Getreide und Soja, die so zu Wurst, Steak oder Hinterschinken veredelt werden. „Hungrige Menschen – satte Schweine“, erklären dazu Urs Haldimann und Stephan Dietrich, die für die schweizerische Organisation „Erklärung von Bern“ eine Studie erarbeiteten.

Um nicht ein vollends düsteres Bild über die Welternährungslage zu zeichnen, streicht der jüngste FAO-Bericht somit die Verbesserungen der vergangenen 20 Jahre heraus: Statt 941 Millionen Menschen (1969–1970) leiden heute 786 Millionen Bewohner von Entwicklugsländern an Unterernährung.

Die Säuglingssterblichkeit ist ebenfalls weltweit gesunken. In Afrika rutschte die Rate der 1000 Neugeborenen, die nicht das erste Lebensjahr vollenden, zwischen 1960 und 1983 von 165 auf 121 Säuglinge. Aber noch immer stürben jeden Tag 40.000 Kinder unter fünf Jahren, hauptsächlich wegen unzureichender Ernährung.

Der Beweis dafür, daß nicht das große Geld, sondern in erster Linie der politische Wille für den erfolgreichen Kampf gegen Unterernährung verantwortlich ist, stammt aus Brasilien. Mit Hilfe von Pflegerinnen und Krankenschwestern sowie Impf- und Stillkampagnen ist es dem Gouverneur des nordöstlichen Bundesstaates Ceara gelungen, innerhalb von fünf Jahren die Kindersterblichkeit um ein Drittel zu senken (die taz berichtete).

Die außerordentliche Leistung brachte dem Gouverneur Ciro Gomes ein dickes Lob der Unicef ein: „Das Leben der Kinder in Ceara ist nicht perfekt. Doch die Regierung ist aufrichtig um ihre Gesundheit bemüht. Wo diese Verpflichtung existiert, sind revolutionäre Änderungen im Gesundheitssektor möglich“, heißt es in dem diesjährigen Bericht des Kinderhilfswerks zur „Weltweiten Lage der Kinder“. Astrid Prange