: "Politik der Formelkompromisse"
■ Friedrich-Joachim Mehmel ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen / "Vom Grundrecht nichts übrig"
INTERVIEW
»Politik der Formelkompromisse«
Friedrich-Joachim Mehmel ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen / »Vom Grundrecht nichts übrig«
taz: Politisch Verfolgte genießen Asyl — aber nicht in Deutschland. So könnte man den Bonner Asylkompromiß beschreiben. Wo bleibt das sozialdemokratische Element?
Mehmel: Formal sind Artikel 16 und Rechtswegegarantie erhalten geblieben, aber nach der Zugangsbeschränkung (Drittländerklausel) ist der Artikel 16 jetzt praktisch komplett ausgehöhlt.
So wurde der SPD-Parteitagsbeschluß zwar der Form nach gewahrt, aber von dem Grundrecht ist nichts mehr übrig. Daß dies die Intention des Parteitags war, kann ich mir nicht vorstellen.
taz: SPD-Forderung ist auf dem Papier gewahrt, aber nicht in der Praxis. Ist die SPD naiv oder willentlich in diese Falle getappt?
Mehmel: Ich glaube, daß dies im Moment ein Politikproblem insgesamt ist. Es werden Formelkompromisse geschlossen, und man drückt sich davor, klare Entscheidungen zu treffen. Über die Ergebnisse ist schließlich keiner zufrieden.
Hinzu kommen mit der Neuregelung jetzt eine Vielzahl praktischer Probleme und verfassungsrechtliche Bedenken. So wird die Diskussion nicht enden, und auch nicht die Politikverdrossenheit.
taz: Wie konnte es zu dieser Pleite kommen?
Mehmel: Die Frage läßt sich wohl nur vor dem Hintergrund der von einem Teil der Medien erzeugten Stimmung und dem Erwartungsdruck der Bevölkerung nach den Vorfällen in Mölln erklären.
Eine rationale Sachdiskussion war kaum noch möglich. Die SPD stand in einer Ecke, aus der sie wohl nicht mehr herauskam. Die Fehler wurden früher gemacht.
taz Was ist denn jetzt überhaupt noch zu retten?
Mehmel: Ich bin skeptisch, daß sich an den Eckpunkten noch etwas verändern lassen wird. Es wird sicher im SPD-Parteirat zu heftigen Diskussionen kommen. Man kann jetzt nur hoffen, daß es bei der Ausgestaltung dieser Vorschläge noch zu Nachbesserungen kommen kann.
Fragen: Sannah Koch
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