Bries schweres Erbe

■ Petra Pau einzige Anwärterin für PDS-Landesvorsitz / Kandidatur hängt von Beibehaltung des MfS-Beschlusses ab

Berlin. Am kommenden Samstag wird die PDS auf einem Parteitag einen neuen Vorsitzenden wählen. Dieser Schritt wurde notwendig, nachdem vor dem letzten Landesparteitag im Oktober der damalige Vorsitzende André Brie seine Tätigkeit für die Stasi offenbart hatte. Er hatte sie bei seiner Wahl verschwiegen und damit gegen den sogenannten MfS-Beschluß seiner Partei verstoßen. Gregor Gysi, der ihn darin gedeckt hatte, erklärte vor zwei Wochen seinen Rücktritt als Bundesvorsitzender und begründete diesen Schritt unter anderem mit seinem Verhalten im Fall Brie. Im Gespräch mit der taz erläutert die bislang einzige Kandidatin für Bries Nachfolge, die bisherige stellvertretende Landesvorsitzende Petra Pau, ihr Verhältnis zur Vergangenheitsbewältigung und ihre Vorstellungen von der Zukunft der PDS.

taz: Frau Pau, noch vor sechs Wochen hielt die Mehrheit der PDS jeden in der Partei für ersetzbar, mit einer Ausnahme: den Vorsitzenden Gregor Gysi. Der nimmt nun seinen Hut. Ist die PDS jetzt kopflos?

Pau: Kopflos ist sie nicht, obgleich Gregor Gysi eine wichtige Rolle für die PDS gespielt hat und es wünschenswert gewesen wäre, wenn die Partei sich darauf noch eine Zeit hätte verlassen können. Andererseits geht das Leben auch ohne ihn als Vorsitzenden weiter. Wichtig ist, daß sich zügig Kandidaten für den Vorsitz stellen, damit die Mitglieder sich darauf einstellen können. Denn ich halte für wichtig, daß größere Teile der Partei, egal welcher Fraktion sie sich zurechnen, sich mit dem Vorsitzenden identifizieren können. Allerdings bleibt auch dann, daß sich Gysis Verlust nicht durch die Wahl eines neuen Vorsitzenden wettmachen läßt. Da ist mehr nötig.

Ist es ein Rückschlag für die Partei?

Es ist zumindest eine recht schwierige Situation.

Die Persönlichkeit Gysi war die Klammer, die die auseinanderdriftenden Fraktionen der PDS zusammenhielt. Droht jetzt ein Zerfallen in diesen Fraktionen?

Das sehe ich im Moment nicht. Sicherlich hat er sehr viel ausgleichend gewirkt. Diese Auseinandersetzung wird allerdings auch unabhängig von ihm geführt, im Rahmen der Programmauseinandersetzung. Von daher wird es auf dem Bundesparteitag im Januar Entscheidungen geben, mit denen die eine Gruppe mehr, die andere weniger leben kann.

Eine der Fraktionen hat bereits auf dem letzten Landesparteitag ihren Austritt angekündigt, falls der MfS-Beschluß gekippt wird. Wie stehen Sie selbst zur Verpflichtung zur Offenbarung der Stasi-Tätigkeit?

Ich bin dafür, den Beschluß als das zu betrachten, was er war: ein MfS-Beschluß. Mandatsträger, die für das Ministerium gearbeitet haben, haben sich gegenüber der Partei zu offenbaren, bevor sie kandidieren. Das schließt Sanktionen gegen unehrliche Mitglieder ein. Ich bin für diese Offenbarung, schon damit man nicht erpreßbar wird, halte aber die Eingrenzung nicht für richtig. Ich beziehe das lieber auf die gesamte politische und auch berufliche Biographie von Funktions- und Mandatsträgern. Ich bin dafür, den Beschluß durch einen erweiterten zu ersetzen.

Sie sind also weiterhin für die Offenbarung unter Beibehaltung der Sanktionen?

Ja.

Wie war denn Ihre eigene Verbindung zum MfS?

Es gab berufliche Kontakte, aber ich war weder offizieller noch inoffizieller Mitarbeiter des MfS. Während meiner Tätigkeit beim Zentralrat der FDJ tauchten zu bestimmten Veranstaltungen, bei Vorbereitungen von Jugendtreffen, Vertreter des MfS auf, wie auch Vertreter der Polizei.

Wie würden Sie diese Arbeitskontakte gegen das abgrenzen, was man unter einer inoffiziellen Mitarbeit versteht?

Ich habe beispielsweise keine Berichte über Personen geschrieben und an das MfS weitergereicht. Ich habe auch nicht im Auftrag dieses Ministeriums irgendwelche Tätigkeiten ausgeführt. Die sind mir begegnet, wie mir auch der Polizist begegnet ist, und ich habe es als legitim und normal empfunden. In meinem Verständnis der sozialistischen Gesellschaft damals war das normal, hatte das MfS seine Berechtigung, und ich wäre, wenn man mich um bestimmte Dinge gebeten hätte, nicht unbedingt zur Widerstandskämpferin geworden.

Es gibt auch Anträge für den Landesparteitag, den MfS-Beschluß zu kippen. Stehen Sie in einem solchen Fall noch für den Vorsitz zur Verfügung?

Kommt ein Beschluß durch, der die Verpflichtung zur Offenbarung streicht, stehe ich nicht zur Verfügung.

Die Abgeordnetenhausfraktion der PDS ist parlamentarisch in die Isolation geraten, weil sie sich nicht von ihren Stasi-belasteten Mitgliedern getrennt hat. Wie will die PDS aus dieser Situation wieder herauskommen?

Ich denke, daß wir bei diesen bekannten Fällen bei unserer Position bleiben. Die Überwindung der Isolation wird eine Frage der Öffentlichkeit sein. Wir müssen versuchen, die komplexere Sicht der Geschichte stärker rüberzubringen. Interview: Dieter Rulff