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„Frau geht vor“ – ein Eigentor

■ DGB-Spitze kippt Motto zum 1.Mai

Frankfurt/Main (taz) – Knapp sechs Stunden lang rauchten die Köpfe der Gewerkschaftsbosse. Dann stieg „weißer Rauch“ über dem Rhein auf. Das Motto für die Maifeierlichkeiten 1993 war kreiert: „Zeichen setzen: für Gleichberechtigung, Toleranz und Gerechtigkeit“.

Eigentlich sollte das Motto für den Kampftag der Arbeiterklasse 1993 „Frau geht vor“ heißen – dachten die DGB-Frauen. Doch das Motto von IG-Metall-Boß Franz Steinkühler ist das von Bruce Springsteen: „I'm the Boss!“ 1993 sei schließlich das Jahr des 50. Jahrestages der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten – und nicht das Jahr der Frau(en). Und auch die ostdeutschen Gewerkschafter ließen sich von Steinkühler „Bauchschmerzen“ diagnostizieren. Schließlich müßten auch die gewaltigen Probleme in den fünf neuen Bundesländern im Mai- Motto des DGB „irgendwie“ ihre Berücksichtigung finden.

Die Männerriege im DGB kippte postwendend um, weil Steinkühler „gehustet“ habe, konstatierten erboste Frauen noch am Montag abend auf einer Sitzung der IG-Metall-Spitze in Frankfurt/ Main.

Und ein spätes Kompromißangebot der in nächtelangen Tarifauseinandersetzungen geschulten Funktionäre trug dann auch nicht zur Versöhnung bei – eher zur Verhöhnung: „Frau geht vor: gemeinsam gegen Rechtsradikalismus“.

Die haarige Angelegenheit entscheiden mußte gestern der DGB- Vorstand: Mit dem Festhalten am Frauenmotto Steinkühler in den Rücken fallen? Mit einem neuen Motto die Frauen vergrätzen? Oder sich bundesweitem Gelächter aussetzen? Gegen 15 Uhr verkündete der DGB-Vorstand dann seine „weise Entscheidung“ (DGB): Die Gleichberechtigung für die Frauen, die Toleranzforderung für den Kampf gegen den Rechtsradikalismus und die Gerechtigkeit für die Ossis. Jedem Wohl und keinem Weh – genau wie bei der FDP. kpk

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