„Embryonen in Gebärmaschinen“

Im Juristendeutsch wurde vor dem Bundesverfassungsgericht gestern an der gesetzlich garantierten Finanzierung von Abtreibungen durch die Krankenkassen gerüttelt  ■ Aus Karlsruhe Karin Flothmann

Wenn noch am ersten Tag generelle Fragen an die Verfassungsmäßigkeit des neuen Abtreibungsrechts im Mittelpunkt standen, so ging es gestern in Karlsruhe ins Detail. In einem Frage- und Antwortspiel, das vor juristischen Spitzfindigkeiten nur so strotzte, prüften sieben Männer und eine Frau als VerfassungsrichterInnen, ob Frauen in Ost- und Westdeutschland demnächst in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft straffrei abtreiben können. Die vom Bundestag mit großer Mehrheit verabschiedete Fristenregelung sieht vor, daß eine Abtreibung in den ersten zwölf Wochen „nicht rechtswidrig“ ist, wenn die Frau drei Tage vor dem Abbruch an einer Beratung teilnimmt. Krankenkassen sind verpflichtet, nur „nicht-rechtswidrige“ Eingriffe zu finanzieren.

Als Gutachter des Verfassungsgerichts sollten Rolf Stürner (Mitglied der „Juristen-Vereinigung Lebensrecht“ JVL) und Bertram Schulin prüfen, inwiefern eine Abtreibung außerhalb des Strafrechts sanktioniert werden könne. Gestern plädierten sie für Verschärfungen in anderen Rechtsbereichen wie im Arbeits- und Sozialrecht. Abtreibungen sollten danach nicht mehr über Krankenkassen finanziert werden, solange nicht eine medizinische Indikation vorliegt. Damit und mit dem Fortfall von Lohnfortzahlungen für den Abbruch würde die Abtreibung juristisch mißbilligt. Nur so könne der Bevölkerung klargemacht werden, daß Abtreibungen ein Unrecht sind.

Um das Unrechtsbewußtsein der Bevölkerung, die immerhin zu zwei Dritteln hinter der Fristenregelung mit Beratungszwang steht, machten sich die Karlsruher RichterInnen und Gutachter während der gesamten Verhandlung Gedanken. Denn nach Ansicht der Kläger führt vor allem die Definition im Beratungsmodell, wonach der Abbruch nach erfolgter Beratung „nicht rechtswidrig“ ist, dazu, daß Abtreibungen in mehr als 90 Prozent der Fälle gerechtfertigt wären, und das verfälsche das gesamte Unrechtsbewußtsein. Richter Ernst-Wolfgang Böckenförde erschien es in diesem Zusammenhang paradox, daß ein rechtlicher Schutz des werdenden Lebens, höchste Intention des neuen Abtreibungsrechts, für eine Zwölf- Wochen-Frist ausgesetzt werden könne. „Es ist ja nicht leicht einzusehen, daß das eine Form des Schutzes ungeborenen Lebens sein soll“, meinte er. Für ihn stellte sich dies als Paradigmenwechsel im Recht dar. Die Entgegnung des Vertreters der Bundestagsmehrheit, Winfried Hassemer, fiel kurz und prägnant aus. In der Tat sei es ein Paradigmenwechsel, und zwar einer, der die Entscheidung der Frau in den Mittelpunkt rücke.

Erstaunlich ausführlich wurde die Frage behandelt, ob nicht auch innerhalb des neuen Beratungsmodells „der Arzt als letzte Bastion des Lebensschutzes“ (so Richterin Karin Graßhof) stehen könnte, indem er prüft, ob die Frau tatsächlich gute Gründe hat, um abtreiben zu wollen. Gegen eine gesetzliche Regelung einer solchen letzten Prüfungsinstanz richtete sich die gesamte Ärzteschaft. Ingeborg Retzlaff, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, sah keine Gründe für eine gesetzliche Festschreibung ärztlicher Pflichten im Falle des Schwangerschaftsabbruchs.

Im Vokabular der „alten Herren“, die die Klagen vertreten und als deren Gutachter auftreten, kommen Frauen so gut wie nie vor. Und wenn, dann wird ihnen nicht selten abgesprochen, eine eigenständige und verantwortliche Entscheidung gegen eine Schwangerschaft treffen zu können. So waren Martin Kriele, ebenfalls JVL- Mitglied und Gutachter für die Bayern, die Gründe sonnenklar, aus denen die „überwiegende Mehrzahl der Frauen“ abtreibt: Häuslebau oder das unpassende Geschlecht des Embryos.

Am zweiten Verhandlungstag war Regine Hildebrandt leider nicht mehr im Gerichtsraum anwesend. Nur ihr platzte am Dienstag abend der Kragen, angesichts der „Herren über 60, die hier über Schwangerschaftsabbrüche reden“. Nach den ersten Verhandlungsstunden konnte die Frauen- und Arbeitsministerin aus Brandenburg ihre Wut nicht mehr zurückhalten. Es sei immer nur von Embryonen und Lebensschutz die Rede. „Diese Embryonen stecken anscheinend in Gebärmaschinen“, monierte Hildebrandt. Ihr fehlten die schwangeren Frauen, deren Lebenswirklichkeit nie zur Sprache käme, die geborenen Kinder und deren Lebensrecht in unserer Gesellschaft. Und so wie Regine Hildebrandt ging es vielen der ZuhörerInnen, denn sie erntete begeisterten Applaus. Die „Herren über 60“ zeigten milde väterliches Schmunzeln oder Befremdung.