■ Die Regierungserklärung zum Rechtsextremismus
: Eine Konjunktivdebatte

Mehr als zweitausendmal haben Rechtsextremisten in diesem Jahr bereits zugeschlagen, 17 Menschen fielen ihnen zum Opfer. In Deutschland herrscht eine Atmosphäre, in der es zur Freizeitgestaltung gedeiht, Mollis auf Flüchtlingswohnungen zu werfen, in der israelischen Knesset diskutiert man bereits über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen – da, endlich scheint es Helmut Kohl an der Zeit, eine Regierungserklärung zum Thema „Rechtsextremismus in Deutschland“ abzugeben. Besser zu spät als nie, schließlich geht es ja nicht zuletzt darum, auch atmosphärisch Einfluß zu nehmen. Leider blieb Kohl beim Konjunktivischen hängen. Wer gehofft hatte, dieser Bundeskanzler würde sich wenigstens einmal damit auseinandersetzen, warum in dem von ihm regierten Land wieder Menschen verbrennen, weil sie Nicht-Deutsche sind, sah sich getäuscht. Kohl sieht keine Gefahren für Menschen, für die Gesellschaft oder deren demokratische Verfassung. Kohl sieht nur Gefahren für den Staat. Der sehe sich mit einer stetig wachsenden Gewaltbereitschaft „von links wie von rechts“ konfrontiert – von beiden Seiten werde das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt. Eine „Erosion des Rechtsbewußtseins“ habe dazu geführt, „daß sich rechts- und linksextremistische Gewalttäter zur Konfrontation mit dem Staat ermutigt fühlen“.

Abgesehen davon, daß diese Pseudoanalyse einfach ohne die Fiktion „wachsender linker Gewalt“ nicht auskommt (angeblich haben die Anhänger gewaltbereiter anarchistischer Gruppen im letzten Jahr um 50 Prozent zugenommen – Herr Kohl, wann feuern Sie endlich Ihre leitenden Verfassungsschützer??): Voll auf der Höhe der 70er Jahre versteht er Gewalt erst dann als solche, wenn er glaubt, daß sie sich gegen staatliche Institutionen richtet. Indirekt erklärt Kohl damit nur, warum dieser Staat monatelang rechter Gewalt gegen Flüchtlinge und Immigranten nichts entgegengesetzt hat: Er fühlte sich bis zu dem Punkt nicht bedroht, an dem Bedrohte von Selbstbewaffnung und Gegenwehr redeten.

Angesichts Kohlscher Ignoranz wirkten Lafontaine und Schäuble wie analytische Tiefschürfer. Woher, fragte Lafontaine, komme die Explosion rechter Gewalt, warum „haben wir den Rechtsterrorismus“ so lange unterschätzt? Deutschland, so der stellvertretende SPD-Chef, müsse sich mit dem aufkommenden Nationalismus offensiv auseinandersetzen. Dazu gehöre, den in Deutschland auf Abstammung beruhenden Nationalitätsbegriff endlich durch die republikanische Variante zu ersetzen. Mitglied einer Nation werde derjenige, der sich zu ihren Werten bekenne, und nicht, wer durch Abstammung dazugehöre. So könne man dem deutschen Rechtsradikalismus einen seiner „giftigsten Zähne ziehen“. So recht Lafontaine hat, es wäre doch schön gewesen, wenn er sich wenigstens an diesem Punkt bei den Asylverhandlungen als Zahnarzt betätigt hätte. Konjunktiv also leider auch bei der Opposition. Jürgen Gottschlich